In der jahrtausendealten Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) werden Erkrankungen des Urogenitaltraktes sowie Sexualitäts- und Fruchtbarkeitsstörungen über den Funktionskreis Blase/Niere (Wandlungsphase Wasser) behandelt. Eine Möglichkeit dazu ist die Akupunktur.
Mit feinen Nadeln wird dabei in genau definierte und mit einer Buchstaben-Zahlen-Kombination bezeichnete Akupunkturpunkte gestochen. Diese Akupunkturpunkte befinden sich entlang der Meridiane, die sich nach der Lehre der TCM durch den ganzen Körper ziehen und den Fluss der Körperenergie ermöglichen. Ist dieser Energiefluss an einer oder an mehreren Stelle(n) gestört, kommt es zu Erkrankungen. Mit Hilfe von Akupunktur können die Blockaden gelöst, die Körperenergie wieder zum Fließen und die Krankheitssymptome oder Störungen zum Verschwinden gebracht werden.
Nieren
Die Niere ist Sitz der angeborenen Urenergie (JING=Essenz) und somit verantwortlich für die Lebenskraft und die Konstitution.
- Sie dient der geistigen und körperlichen Entwicklung,
- kontrolliert die Sexualfunktionen und
- beeinflusst das Altern.
- Sie reguliert den Flüssigkeitshaushalt,
- die knöchernen Strukturen,
- die Zähne und
- den Temperaturausgleich.
- Die psychisch-emotionalen Komponenten der Nieren sind Vertrauen zu sich selbst, Selbstsicherheit und das Annehmen und Spüren des eigenen Körpers.
Beeinträchtigungen
Neben Sexual- und Urogenitalstörungen zeigen sich Dysregulationen und Beeinträchtigungen dieses Funktionskreises in
• Knochen- und Gelenkschmerzen,
• Erkrankungen des Ohres und des Gleichgewichtsorganes,
• Entwicklungsverzögerungen,
• Gedächtnisstörungen und
• vorzeitigem Altern.
Eine besondere Beziehung der Niere besteht zum Herz und der Milz. Das Herz (Feuer, Oben, Geist) ist der elementare Gegensatz zur Niere (Wasser, Unten, Körper) und braucht daher ein stabiles Gleichgewicht. Die Milz als Quelle der postpartalen Energie (Nahrung) ergänzt das angeborene Nieren-Jing. Dieses wiederum braucht zum Funktionieren die Wärme und die Aktivität des Nieren-Yang.
Nieren-YIN
Das Nieren-YIN (Materie/ Grundgewebe) ist eine Mischung aus dem JING (angeborene Essenz) und der Nahrungsessenz (postpartales Jing), welches wie bereits erwähnt von der Milz geliefert wird. Die Hauptaufgabe des Nieren-Yin ist das Kühlen des Organismus. Ist es vermindert, führt dies zu Hitze- bzw. Feuer-Symptomen.
Nieren-YANG
Das Nieren-YANG wird auch als Tor der Vitalität (Mingmen) bezeichnet und versorgt insbesondere Blase, Magen, Milz, Herz und die Sexualorgane mit Wärme. Zusätzlich aktiviert und reguliert das Nieren-Yang den gesamten Hormon- und Temperaturhaushalt und ist somit der wärmende, bewegende und transportierende Teil. Ein Mangel an Nieren-Yang bedeutet daher eine Schwächung des Mingmen-Feuers, welches aber die notwendige Voraussetzung für Lebenskraft, Entwicklung, Fruchtbarkeit und eine gesunde, funktionierende Sexualität ist.
Ist das Fließgleichgewicht zwischen Yin und Yang gestört, unterbrochen oder verändert, beeinträchtigt dies zwangsläufig beide Teile. Fehlt oder mangelt es an Materie (YIN) führt dies zu einer Veränderung der Funktion (YANG).
Diagnose
Zur Beschreibung von Krankheitsbildern, Zuordnung von Symptomen und entsprechender Therapiehinweise hat sich die Anwendung der acht Prinzipien bewährt:
• Yin-Yang
• Außen-Innen
• Hitze-Kälte
• Fülle-Mangel.
Das übergeordnete Prinzip ist immer das Yin-Yang Prinzip, alle andern werden diesem untergeordnet.
Aufgrund der Komplexität der TCM-Diagnostik und -Therapie kann hier lediglich ein kurzer Ausschnitt gebracht werden. Die häufigsten sexualmedizinischen Probleme können durchaus als einfache Nieren-Syndrome bezeichnet werden. Dies beinhaltet den Nieren-Jing-Mangel, den Nieren-Qi-Mangel, den Nieren-Yin-Mangel und den Nieren-Yang-Mangel mit seinen Sonderformen.
Lösungsansätze
Nieren-Jing-Mangel
Symptome:
Lustlosigkeit, Impotenz, Sterilität, Ausbleiben der Menstruation (Amenorrhoe), Sexualstörungen allgemein
Therapie:
KG 4 stärkt Jing, ist der innere Treffpunkt der 3 Yin-Meridiane
N3, N6 nähren Yin
LG4 stärkt Nieren-Yang
B23 Zustimmungspunkt der Niere, kräftigt die Lenden, stärkt das Yang
N11 Alarmpunkt nach Bischko des Kreislauf-Sexualität-Meridians
Nieren-Qi-Mangel
Symptome:
Libido-und Potenzverminderung, vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio präcox), vaginaler Ausfluss, Spermatorrhoe (Ausfluss von Samenflüssigkeit aus der Harnröhre ohne eine sexuelle Erregung), Schwäche der unteren Öffnungen, Lumbalgie (Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbel)
Therapie:
KG4,KG6: Quellen-Qi stärken
LG4,B23: Nieren-Yang stärken
M36: Qi stärken allgemein
LG20: Qi heben (Körperflüssigkeiten können nicht mehr so einfach herausrinnen)
N6,N9: Nieren-Yin stärken
KG6,MP6 Nieren-Yin stärken
Nieren-Yang-Mangel
Symptome:
Lumbalgie und Impotenz, Unfruchtbarkeit (Infertilität), Lustlosigkeit, <span class="glossary" title="Scheidenkrampf. Schmerzhafte Verkrampfung des äußeren Drittels der Scheidenwandmuskeln und der Beckenbodenmuskulatur, wenn etwas (Finger, Tampon, Penis) in dieselbe eingeführt werden soll.
">Vaginismus, vorzeitiger Samenerguss, krampfartige Unterbauchschmerzen beim Geschlechtsverkehr,
Prostatodynie (Reizzustand der Prostata)
Therapie:
LG4: stärkt Nieren-Yank, Jing und Quellen-Qi. MOXA
B23 Zustimmungspunkt der Niere, stärkt Yang
N3,N7: spezifisch für Nieren-Yang
KG4: stärkt das Quellen-Qi
KG6 „Meer des Qi“: Punkt ist ein allgemeines Energiezentrum
M36: Meisterpunkt der Muskulatur
Le1,3: Qi-Zirkulation fördern bei Prostatodynie; MOXA
Nieren-Yin-Mangel
Symptome:
gesteigerte Libido bei verminderter Potenz, vorzeitiger Samenerguss, Pollutionen (unwillkürlicher Samenerguss), sexuelle Neurasthenie (psychisch bedingte Nervenschwäche), psychogene Sexualstörung (Nieren-Yin-Mangel mit aufsteigendem Mangel-Feuer)
Therapie:
N3,B23: nährt Nieren-Yin, reduziert Unruhe
N7,N10: stärkt Nieren-Yin
N9 zusätzlich bei innerer Unruhe und Nervosität
MP6 Gruppendurchgangspunkt (Luo-Punkt) für die 3 Yin des Beines
KG5 stärkt besonders das Nieren-Yin
N2,He5 entfernt Feuer
N9 beruhigt den Geist (Shen)
H5,Lu7 leitet Hitze aus dem Kopf
Feuchte Hitze im unteren Erwärmer
Symptome:
Erektile Dysfunktion nach Genitalinfektionen, Schweregefühl in der Lendenwirbelsäule und den Beinen
Therapie:
MP9,KG3: entfernt Hitze und Feuchtigkeit
MP6,M36 stärkt Milz und Blase
Nieren-Yin und Herz-Yin-Mangel
Symptome:
zu viel Sex, zu viel grübeln, Suchtverhalten
Therapie:
H7,Bl15 entfernt Herz-Feuer
N3 stärkt Nieren-Yin und Nieren-Qi
B47Bi kontrolliert Jing
Zusätzlich zur Nadelung der Meridianpunkte können auch noch die sogenannten Extrapunkte verwendet werden:
EX-B6: „Wohlbefinden der Lende“
EX-B7: „Auge der Lende“
EX-B5: „ZP für Unten“
Wichtiges zur Therapie
Die Akupunktur ist eine geeignete Methode, um Störungen der Sexualität, der Sexual- und Urogenitalorgane zu behandeln. Neben der TCM-Anamnese ist die sexualmedizinische Anamnese, die körperliche Untersuchung und diagnostische Abklärung unumgänglich. Abhängig von der Störung kann die Akupunktur sowohl allein (vor allem bei funktionellen Störungen) als auch ergänzend eingesetzt werden.
Weiterführende Literatur
G. Kubiena: Chinesische Syndrome verstehen und verwenden, Verlag W. Maudrich
G. Kubiena, B. Sommer: Therapiehandbuch Akupunktur, Verlag Gustav Fischer
G. Kubiena, A. Meng: Die neuen Extrapunkte in der Chinesischen Akupunktur, Verlag W. Maudrich
Autor
Dr. Helmut Novy
Haupstraße 31
2102 Bisamberg
www.dr-novy.at