Mit Angst zurück zur Sinnlichkeit
Die Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna berichtet in der „Sprechstunde“ von Fällen aus ihrer täglichen Praxis. Alle persönlichen Angaben der Patienten und Patientinnen wurden geändert, die Geschichten, Probleme und Lösungsfindungen entsprechen jedoch der Realität.
David K. (62) ist verzweifelt. Er kann sich nach dem Herzinfarkt nicht damit abfinden, dass er nie wieder mit seiner Frau schlafen können soll.
Der Patient schämt sich, mit mir zu reden. Er sagt: “Ich weiß, ich sollte froh sein, dass ich den Herzinfarkt überlebt habe, aber wissen Sie, Sexualität bedeutet mir mehr als nur Spannung abzureagieren. Wenn ich mit meiner Frau schlafe, dann fühle ich mich ihr so nah. Nichts ist zwischen uns und hinterher fühlen wir uns beide so leicht.“
Medizinische Vorgeschichte
Herr K. hatte vor einem halben Jahr einen Herzinfarkt, den er zum Glück ohne Folgeschäden überlebte. Er war vorher ein Genussmensch und starker Raucher. Er war auch dementsprechend rund und seine Cholesterinwerte waren erschreckend hoch. Er hatte oft gehört, dass das seine Blutgefäße zerstören wird, er konnte es nur nicht glauben. Tatsächlich wurden zuerst seine Blutgefäße im Penis zerstört, denn schon einige Jahre vor dem Infarkt zeigten sich bei ihm Erektionsstörungen.
Der Androloge, der ihn damals abklärte, riet ihm, seinen Lebensstil gesünder zu gestalten und verschrieb ihm Potenzmittel, die auch wirklich halfen. Eigentlich nervte ihn der Ratschlag des Arztes und er lebte wie bisher weiter und hatte Sex mit Hilfe der Medikamente. Bis zum Herzinfarkt.
Problem
Jetzt erklärte ihm der Internist, dass er ihm leider kein Potenzmittel mehr verschreiben könne, weil sich dieses nicht mit den Herzmedikamenten vertragen würde, ja sogar lebensbedrohlich sein könnte. Damit kann sich aber Herr K. nicht abfinden.
Lösungsansätze
Ich ließ den Patienten von einem Kardiologen untersuchen. Herr K. hatte gute Werte beim Belastungs-EKG und konnte auch leicht drei Stockwerke ohne Atemnot steigen, also sprach nichts dagegen, dass der Androloge ihn auf die Potenzspritze einstellte. Zuerst erschrak Herr K. beim Gedanken, dass er sich eine Spritze in seinen empfindlichen Penis stechen sollte. Doch als er dann sah, wie dünn die Nadel war und wie leicht die Spritze handhabbar war, verschwanden seine Vorurteile. Er war schließlich überzeugt, als er zusehen konnte, wie sich sein Penis in kürzester Zeit vor ihm aufrichtete.
Typische Verunsicherung
Alles schien also in Ordnung, bis Herr K. kurz darauf ganz aufgewühlt anrief. Er traue sich doch nicht, mit seiner Frau zu schlafen. Sein Herz rase beim Geschlechtsverkehr, er müsse schneller atmen und sein Kopf werde rot. Er habe plötzlich panische Angst, dabei wieder einen Herzinfarkt zu bekommen. Ich konnte ihn ganz schnell wieder beruhigen. Diese Phase der Verunsicherung machen alle Patienten nach einem Herzinfarkt durch. Keinem war vorher bewusst, dass das Herz bei einem Geschlechtsverkehr bis zu 140 Schläge pro Minute haben kann, die Atemfrequenz ansteigt und der systolische Blutdruck bis zur 80 mm Hg und der diastolische bis zu 50 mm Hg zusätzlich ansteigen kann.
Unter normalen Umständen nimmt man das gar nicht war. Wer aber eine so dramatische Situation, wie einen Herzinfarkt erlebt hat, deutet jede schnellere Herzfrequenz und jeden Blutdruckanstieg als Gefahr.
Herr K. und seine Frau waren beruhigt und nach dieser typischen Phase der Verunsicherung stand nun ihrer Sinnlichkeit nichts mehr im Weg.
Informationen
Sexualität nach einem Herzinfarkt
- Lassen Sie sich Zeit, bis Sie sich emotional und körperlich wieder soweit fühlen.
- Ihr Herzspezialist steht Ihnen natürlich auch für Fragen bezüglich Ihrer Sexualität zur Verfügung.
- Wenn er bei der Nachuntersuchung ein Belastungs-EKG macht, fragen Sie ihn ohne Scham, ob die Leistung reicht, um gefahrlos Sex zu haben.
- Besprechen Sie auch, welche Hilfsmittel zur Verfügung stehen, um wieder sexuell aktiv sein zu können und bei welchen Zeichen Sie ihn wieder kontaktieren sollen.
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