Jugend und Sexualität: Die Krux mit dem Sex
In einer Zeit, in der alles öffentlich gemacht wird, in der Volksschulkinder von Freunden Pornovideos aufs Handy geschickt bekommen und Modelinien Push-up BHs in der Kinderabteilung führen, ist es gar nicht so einfach, erwachsen zu werden und die eigene Sexualität zu entdecken. Aber einfach war die Jugendzeit noch nie. Die Unsicherheit, was das große Thema Sex betrifft, ist die gleiche wie immer – auch wenn mehr darüber geredet wird. Was für die heutigen Jugendlichen erschwerend dazu kommt, ist aber der Perfektionszwang. Perfekte Brüste, perfekte Labien, perfekter Penis – und dann kommt der perfekte Sex?

Anal und Oral
Dr. Sandra Elnekheli, Sexualmedizinerin und Mitarbeiterin in der „Mädchensprechstunde“, eine vom Berufsverband der österreichischen GynäkologInnen ins Leben gerufenen Initiative, die in Kooperation mit der österreichischen Gesellschaft für Sexualmedizin und dem Institut für Sexualpädagogik tätig ist, warnt vor dem verzerrten Bild, das Jugendliche zur Sexualität bekommen: „Damit Pornos spannend bleiben, greift man auf verschiedenste Möglichkeiten der Darstellung zurück. Dadurch ist auch das Thema Analverkehr bei Jugendlichen so verbreitet – obwohl es die Mädchen meist gar nicht wollen. Sie lernen jedoch nicht, auf ihren eigenen Körper zu achten und einfach nein zu sagen. Sie sind in ihrem Erwachsenwerden oft noch nicht so weit, um zu merken, was ihnen gut tut und was nicht. Das gleiche gilt für den Oralverkehr. In der Mädchensprechstunde werden wir oft gefragt, warum das ‘blasen’ heißt, ob man in den Penis ‘reinblasen’ müsse. Solange es nur bei den Fragen bleibt, ist es in Ordnung, problematisch wird es aber dann, wenn sexuelle Aktivitäten nicht aus der eigenen Lust heraus entstehen, aus dem Zuwarten, bis man so weit ist, sondern aus dem Gefühl, einer Erwartungshaltung entsprechen zu müssen.“

Männerkopf in der Scheide?
Erwachsene kennen die Handy-Porno-Videoclips oft gar nicht, die bei Jugendlichen Usus sind. Ganz weit verbreitet, weil so schön sensationell: ein Video, in dem ein Männerkopf in eine Vagina eintaucht. Auch ganz junge Kinder werden damit bereits konfrontiert und genau diese passive Überflutung ist es, die besonders problematisch ist. Denn wer im Internet gezielt nach Informationen sucht, tut dies aktiv. Ein Volksschüler, bei dem besagter Clip am Handy landet, kann mit dieser Art der Informationen nichts anfangen. Will es wahrscheinlich auch gar nicht! Besonders irritierend ist diese Information, weil sie nicht der Realität entspricht, „gefaked“ ist. Denn ein ausgewachsener Männerkopf passt nun mal nicht in eine Vagina, punkt.
„In der Mädchensprechstunde bringen wir gerne den Vergleich mit einem Krimi“, erzählt Elnekheli. „Hier weiß man, dass das Mordopfer nicht wirklich tot ist, das ist auch Jugendlichen bewusst. Wichtig ist, sie zum Nachdenken zu bringen, was Realität ist und was nicht. Unser Gehirn ist mit Bildern sehr schnell verführbar, diese für wahr zu halten, besonders, wenn die Erfahrung noch fehlt.“

Haare ab!
Das zeigt sich auch beim Intimbereich. Auch hier gibt es kein Stopp beim Vergleichen und Bewerten. Und vergleichen lässt es sich gut, seit Intimbehaarung ganz oder teilweise wegrasiert wird. „In den letzten zehn Jahren hat sich die Intimrasur bei Jugendlichen stark durchgesetzt“, weiß Elnekheli. „Oft habe ich das Gefühl, Jugendliche, die gerade ihre ersten Intimhärchen bekommen, entfernen diese auch gleich wieder. Die sich entwickelnden weiblichen Organe werden dadurch natürlich sichtbarer – und das verunsichert.“ Der Vergleich mit erotischen oder pornografischen Bildern wird hergestellt. Kleine Intimlippen? Fehlanzeige, die sind auf Fotos kaum sichtbar! Entweder im Bildbearbeitungsprogramm wegretouchiert oder schon vorher vom Chirurgen zurechtgeschnipselt. In der Natur sieht es aber anders aus. „Das Mädchen wird dann massiv verunsichert, weil es sich entweder selbst vergleicht, oder vom Burschen auf die möglicherweise anders aussehenden Intimlippen angesprochen wird.
„Wenn sich ein junges Mädchen zur Matura größere Brüste und kleinere Labien wünscht, dann ist das eine gefährliche Entwicklung. Wir kämpfen gegen die afrikanische Beschneidung der Mädchen und bei uns werden diese Korrekturen langsam zur Norm. Hier sind strenge Kriterien ganz wichtig, die zum Glück immer mehr durch die Ärzteschaft in die Öffentlichkeit gelangen.“

Push-up und String mit zwölf
Verunsichert auf eine andere Weise werden Erwachsene, wenn sie 12- oder 13jährige Mädchen sehen, die mit allen sexy Attributen gestyled sind, die der Handel hergibt. Dazu gehören gepolsterte Push-up BHs und Stringtangas in Kindergrößen genauso wie kesse Kleidung und Make-up. „Diese Mädchen, die ja noch Kinder sind, geben den Anschein, sie wären sexualreif. Sie sind es aber in den meisten Fällen nicht und fühlen sich auch nicht so“, erzählt Elnekheli. „Es geht hier nicht darum, sexuelle Signale auszusenden, sondern im Vergleich innerhalb der Freundinnengruppe zu bestehen – wer am chicsten gekleidet ist, wer die hübscheste ist. Mit sexueller Reife hat das oft gar nichts zu tun.“

Treue versus Sex?
Wenn man die äußere Hülle weglässt, so hat sich innen drinnen bei den Jugendlichen wenig geändert, wenn es um Sexualität geht. Bei Mädchen liegt nach wie vor Treue hoch im Kurs, bei Burschen oft einfach das Interesse am Sex. „Das ist keine Wertung“, sagt Elnekheli, „sondern das sind einfach zwei Pole, die in unseren Archetypen angelegt sind: die gefühlsbetonteren Mädchen, die körperbetonteren Burschen. Findet man sich dann in der sexuellen Entwicklung und tauscht sich aus, ergänzen sich diese beiden Pole und bilden eine wunderbare Ganzheit.“
Wie Elnekheli richtig sagt: „Ich habe Vertrauen in die Jugend, dass sie einfach eine Portion gesunden Menschenverstand mitbringt. Und jene, die eine gefestigte Persönlichkeit haben, werden besser mit dem ganzen Druck zurechtkommen als die anderen.“
“Sex we can” ist ein Film für Jugendliche, der nicht nur über Sexualität, sondern auch über Beziehungen und Freundschaft informiert. Den Film und weitere Informationen können Sie hier abrufen
