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Die verdorbene Jugend

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“Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.”

Dies ist kein Zitat über die “heutige Jugend”. Vielmehr machte sich der altgriechische Philosoph Sokrates (470 - 399 vor unserer Zeitrechnung) bereits heftige Sorgen über den “moralischen Verfall” der Jugend seiner Zeit.

Jugend, Jugendliche und ihr Verhalten haben - wie zu lesen ist - schon lange vor unserer Zeitrechnung die Erwachsenen aufgeregt. Immer sind sie zu laut, zu lästig, ecken überall an, halten sich nicht an das Althergebrachte, haben viel zu früh Sex und wissen alles besser.

Daran hat sich auch in der Gegenwart nichts geändert. Schlägt man die Zeitung auf, schreit es einem entgegen: Über Komsäufer und gewalttätige Jugendliche, über Teenagerschwangerschaften und die sexuelle Enthemmtheit der “heutigen Jugend”.

Auflehnen und hinterfragen muss sein

„Jugend will, daß man ihr befiehlt, damit sie die Möglichkeit hat, nicht zu gehorchen", sagte der französische Philosph Jean-Paul Sartre (1905 - 1980) - und was er hier - natürlich überspitzt - formuliert, ist gar nicht so falsch. Die Pubertät ist eine Zeit des Umbruchs, der junge Mensch will sich konfrontieren, will Auseinandersetzungen führen, sich spüren - auch und gerade um zu lernen, welche Vorstellungen sie/er von ihren/seinen Eltern bzw. anderen Erwachsenen ins eigene Weltbild übernehmen kann und welche nicht - wo sie/er andere Wege finden muss.

Wer Jugendlichen nicht die Möglichkeit zur Konfrontation bietet, macht einen Fehler - denn auch durch Auseinandersetzungen lernt sie/er, wo sie/er steht und wo sie/er hinwill.

Sex, Pornographie und die falschen Bilder

Vielerorts herrscht die Meinung vor, die “Jugend von heute” würde sich zügellos verhalten - das Spektrum reicht hier vom Komasaufen bis hin zur Sexualität. Immer früher würden Jugendliche miteinander “ins Bett gehen”, ohne zu hinterfragen, ob dies gut für sie sei oder ob sie bereits bereit für Sexualität sind.

Sicher: Die Sexualisierung der Gesellschaft hat definitiv zugenommen, und über sämtliche verfügbaren Medien wird Sex transportiert - egal ob in der Werbung, im Internet oder über Zeitungen, Zeitschriften oder das Fernsehen.

Der Zugang zu - allerdings meist völlig überzogenen - Bildern von Sexualität ist wesentlich erleichtert worden. Es wird viel mehr über Sex geredet, das bedeutet aber noch nicht, dass Jugendliche auch früher Sex haben.

Wissen und Praxis klaffen auseinander

Hier entlarvt sich das Gerede über die “verdorbene Jugend von heute”: Seit Jahrzehnten ist nämlich das “Einstiegsalter” in die Sexualität ungefähr gleich und liegt für rund 50 Prozent bei etwa 16 Jahren - die andere Hälfte lässt sich sogar noch mehr Zeit.

Mehr reden heißt also nicht mehr tun - und es heißt noch etwas definitv nicht: mehr wissen.

Zwar wissen Jugendliche heute über Sexualpraktiken in der Theorie bestens Bescheid, aber dennoch verwenden nur etwa 12 Prozent der Mädchen und 15 Prozent der Jungen beim “ersten Mal” eine Verhütungsmethode. Nach ihren Geschlechtsorganen befragt, steigen viele aus - und wenn es um das Thema “fruchtbare Tage” geht, ist das Unwissen noch größer.

Und hier liegt das eigentliche Problem.

Wie weiß ich, wann es richtig ist?

Etwas über die unterschiedlichsten Sexualpraktiken zu wissen, heißt noch gar nichts. Hier liegt auch die Gefahr der Reizüberflutung: In Großstädten haben sehr viele Jugendliche bereits Erfahrungen mit Pornographie gemacht - sei es nun im Internet oder mittels Schmuddelfilmchen auf dem Handy. Damit wird aber ein vollkommen falsches Bild der Sexualität vermittelt - und das bringt Jugendliche unter Druck.

Den Zugang zur Pornographie zu beschränken, ist schwer, unmöglich ist es nicht. Dennoch: Jugendliche werden heute in einem Alter mit Bildern konfrontiert, die es ihnen in der Praxis erschweren, ihre Sexualität in einer Art zu entwickeln, wie sie es wollen.

Und das ist schade. Denn Sexualität ist schön, wenn sie von beiden PartnerInnen gewollt ist, wenn beide sich darüber im Klaren sind, was sie wollen und wenn vorab die richtige Verhütungsmethode besprochen - und dann natürlich auch angewendet wird.

Ein Elternhaus, in dem Sexualität kein Tabuthema ist, sondern etwas, das tatsächlich offen besprochen werden kann, FreundInnen, mit denen man sich jenseits von klischeetriefenden Bildern besprechen kann und Beratungsstellen, in denen sich Jugendliche Rat und Hilfe ohne moralischen Zeigefinger holen können, helfen dabei.

Oder, wie es die amerikanische Literaturnobelpreisträgerin Pearl S. Buck (1892 - 1973) ausdrückte: „Die Jugend soll ihre eigenen Wege gehen, aber ein paar Wegweiser können nicht schaden.”

Autor

Sabine Fisch (Mai 2010)