Fremdgehen – Beziehungsuntergang oder –rettung?
Für die einen ist es das Ende einer Liebesbeziehung – für die anderen gelebte offene Beziehung – eines ist aber klar: Fremdgehen lässt niemanden kalt.
Zwei Menschen lernen sich kennen, sie verlieben sich ineinander und leben schließlich zu zweit. Sie werden ein Paar. Manche heiraten, bekommen Kinder, andere sind zu zweit glücklich. Ein wesentlicher Parameter für eine glückliche Paarbeziehung ist das Vertrauen. Nur wer dem anderen so weit wie möglich vertraut, kann eine Beziehung führen, die jeden der beiden Beteiligten glücklich und zufrieden macht.

Liebe, Offenheit und Vertrauen
Vertrauen und Offenheit gehören zu den Grundpfeilern jeder Beziehung, die Liebe einmal ausgenommen. Wenn dieses Vertrauen erschüttert wird, etwa wenn herauskommt, dass eineR der beiden Beteiligten fremd gegangen ist, kann die Beziehung ganz schnell vorbei sein. Die Nähe, die Sexualität, die Zärtlichkeit, das ist etwas, wovon eine Paarbeziehung lebt. Teilt einer der beiden PartnerInnen dies mit einer anderen Person, führt das nicht nur zu einem Vertrauensverlust, sondern auch zu einer Abwertung der Person, die das „Opfer“ in einer solchen Situation ist – der betrogene Partner/die betrogene Partnerin also.
Ganz abgesehen davon, dass – in Zeiten, in denen Geschlechtskrankheiten wieder weite Verbreitung gefunden haben – ein Seitensprung auch ganz reale gesundheitliche Auswirkungen haben kann.
Dem Partner/der Partnerin „fremd zu gehen“, rüttelt am Grundgefüge einer Partnerschaft. Der/die Betrogene fragt sich: Was habe ich falsch gemacht? Derjenige oder diejenige der/die fremdgegangen ist, stellt sich möglicherweise die Frage: Was stimmt nicht in meiner Beziehung?

Alarmsignal Seitensprung
Denn fremdgehen kann auch ein Alarmsignal sein. Ein Alarmsignal für Probleme in der Beziehung. Da findet eineR der PartnerInnen plötzlich aushäusig das wieder, das ihm/ihr zu Hause fehlt. Und Seitensprünge, One Night Stands oder Affären finden beleibe nicht nur in zerrütteten Beziehungen statt. Auch scheinbar glückliche Paare kann es treffen.

Neustart für die Beziehung
Nicht selten berichten Paare, die sich gut verstehen, die sich lieben und einander vertrauen davon, dass Sexualität kaum noch stattfindet. Sie verspüren eine Sehnsucht, einen Kitzel, ihre Sexualität wieder auszuleben, können dies aber mit dem eigenen Partner/der eigenen Partnerin nicht mehr umsetzen. Der Grund dafür? Ein zu enges Zusammen leben, das vermeintliche Wissen, den Partner/die Partnerin bis ins letzte Detail zu kennen. Erotik lebt aber von Spannung, von Neugier und eben davon, nicht alles vom anderen/von der anderen zu wissen. Wer aufeinander nicht neugierig bleibt, kann Probleme in der sexuellen Beziehung zum Partner/zur Partnerin bekommen.

Sexuelle Wünsche aussprechen
Auch niemals eingestandene sexuelle Wünsche können letztlich zu einem Seitensprung oder einer Affäre führen. Deshalb ist Offenheit in einer Beziehung wichtig. Über Sexualität zu reden fällt allerdings vielen Menschen – gerade in einem katholisch geprägten Land wie Österreich – immer noch schwer. Die gute Nachricht ist jedoch: Ein Paar kann lernen, über Sexualität zu sprechen, sich seine Wünsche mitzuteilen und letztlich auch versuchen, diese auszuleben. Es gibt viele Möglichkeiten, sexuelle Wünsche zu äußern. Lesen Sie dazu auch das Thema der Woche „Sexuelle Wünsche mitteilen“.

Nicht immer das Ende
Aber gleichgültig, ob die Beziehung scheinbar glücklich ist, ob das Paar sich „auseinandergelebt“ hat oder nicht mehr liebt. Nicht immer muss ein Seitensprung das Ende einer Beziehung sein, wenn es auch harte Arbeit ist, das Vertrauen in den Partner/in die Partnerin wieder herzustellen. Drei Arten des „Fremdgehens“ werden unterschieden:
- der One Night Stand, quasi der „einmalige Ausrutscher“
- die Zweitbeziehung, eine sexuelle Beziehung, die über Wochen, Monate oder sogar Jahre gehen kann und
- der/die notorische SeitenspringerIn, also jemand, der häufig sexuelle Affären mit andereN Frauen/Männern hat

Männer „streuen“ Gene
Es kursieren auch eine Menge Mythen rund um das Thema fremdgehen. So hält sich etwa hartnäckig folgender Mythos: „Männer müssen fremdgehen, sie sind biologisch darauf programmiert, damit sie ihre Gene an möglichst viele Frauen weitergeben.“ Klingt nett und wird von vielen Männern nach wie vor ins Treffen geführt, wenn es ums Fremdgehen geht. Es ist aber Unsinn. Wir leben nicht mehr in der Steinzeit, in der sehr viele Kinder sehr früh verstorben sind. Und Männer sind keine „Opfer ihrer Biologie“. Zumindest sollten sie das nicht sein.
Frauen dagegen würden erst dann fremdgehen, wenn ihre Beziehung gar nicht mehr stimmt, was ebenso großer Unsinn ist. Frauen wie Männer gehen fremd, weil sie Gelegenheit dazu haben, weil sie sich in ihrer Beziehung langweilen, weil sie mit ihrem Partner/ihrer Partnerin keinen Sex mehr haben oder weil sie schlicht notorische Fremdgänger sind, die es einfach nicht schaffen einer einzigen Person die Treue zu halten.

Beziehung fortsetzen?
Kommt es zu einem Seitensprung oder geht einer der PartnerInnen sogar eine länger andauernde Beziehung mit einem anderen Menschen ein, ist die Frage: Wie soll man damit umgehen? Bei notorischen Fremdgängern ist das etwas anders, weil diese sich meist nicht ändern wollen, um in einer Beziehung glücklich zu sein. Es stellt sich die Frage, ob eine Beziehung, in der einer der PartnerInnen immer wieder fremdgeht, überhaupt fortgesetzt werden soll.
Bei den beiden anderen Formen des Fremdgehens, sieht die Situation etwas anders aus:

Einmaliger Seitensprung
Häufiger Schauplatz: Betriebsfeiern, Urlaube, Dienstreisen. Sehr oft ist (zu viel) Alkohol im Spiel. Alkohol enthemmt bekanntlich – die Folge: Man wacht am nächsten Tag im Bett mit der Kollegin auf, oder mit der reizenden Reisebekanntschaft. Einmalige Seitensprünge zu beichten, ist ein extrem heikles Thema. Denn wenn es wirklich nur ein einmaliger Ausrutscher war, hat dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit keine negativen Auswirkungen auf Beziehungen, wenn er eben NICHT gebeichtet wird. Derartige Seitensprünge zu beichten, kann dagegen fatale Folgen für die Beziehung haben – Vertrauensverlust und Eifersucht sind nur zwei davon.

Langeweile und Routine
Allerdings kann auch ein einmaliger Seitensprung durchaus seine Wurzeln in der Paarbeziehung haben. Dann nämlich, wenn etwa die Sexualität in der Partnerschaft zur Routine geworden ist oder wenn sexuelle Wünsche, wie oben beschrieben, niemals ausgelebt werden können. In einem solchen Fall kann es sogar sinnvoll sein, den Seitensprung zu beichten. Denn in dieser Grundkonstellation sind indirekt beide PartnerInnen am Seitensprung beteiligt.

Rückhaltlos ehrlich
Ein solcher Seitensprung kann, wird er dem Partner/der Partnerin gestanden, kann nämlich durchaus wieder zu einem Neuaufleben der Beziehung führen. Das gilt allerdings nur dann, wenn der seitenspringende Partner/die seitenspringende Partnerin rückhaltlos ehrlich ist, alle Fragen des Partners/der Partnerin ehrlich beantwortet – und die Person, mit der der Seitensprung „verübt“ wurde, möglichst nicht wieder sieht. Wenn das natürlich eine Kollegin/ein Kollege ist, könnte das schwierig werden.
Ein solcher Seitensprung kann dazu führen, dass die PartnerInnen wieder mit offenen Augen auf ihre Beziehung schauen, sich wieder damit auseinander setzen, sich Zeit füreinander nehmen und Gespräche führen, um dem Auslöser für den Seitensprung auf die „Sprünge“ zu kommen. Dann kann ein einmalige „Ausrutscher“ durchaus zu einer Wiederbelebung der Beziehung führen – natürlich nur, wenn er wirklich einmalig bleibt.

Zeit, Geduld, Gespräche
Aber auch in einer solchen Situation ist das Vertrauen des Partners/der Partnerin in sein Gegenüber natürlich erschüttert. Und es kostet nicht selten viel Zeit und viele Gespräche, manchmal sogar die Hilfe eineR PsychotherapeutIn, um das Vertrauen wieder her zu stellen. Und das muss sein, wenn die Beziehung erfolgreich weiter geführt werden soll. Denn ständiges Misstrauen des betrogenen Partners/der betrogenen Partnerin ist einem gedeihlichen Zusammenleben nicht eben zuträglich. Es kostet also beide PartnerInnen Kraft, Zeit und Geduld, eine solche Situation zu überwinden, aber es kann sich lohnen.

Bitte nicht beichten
Ein einmaliger Seitensprung kann allerdings tatsächlich auch in einer tatsächlich glücklichen Beziehung passieren. Niemand ist davor gefeit. In einem solchen Fall, und wenn es wirklich nichts bedeutet hat, ist es wohl besser, allein mit seinem/ihrem schlechten Gewissen fertig zu werden. Denn dann hat ein Geständnis nur einen Sinn: Den Partner/die Partnerin unnötig zu verletzen, um sich selbst zu entlasten. Das Wort „Entschuldigung“ drückt das sehr gut aus: Wer jemand anderen um Entschuldigung bittet, ersucht ihn darum, die Schuld von ihm zu nehmen. Das kann im eben beschriebenen Fall durchaus kontraproduktiv sein.

Wieder neugierig werden
Schwieriger ist schon der Umgang mit Affären oder gar Zweitbeziehungen über lange Zeit. In einem solchen Fall stellt sich schon die Frage nach der Tragfähigkeit der Beziehung, aus der einer der PartnerInnen auf diese Weise ausbricht. Es ist auch dies differenziert zu sehen. Eine Zweitbeziehung kann auch existieren, ohne die „Erstbeziehung“ ernsthaft zu gefährden. Das kann etwa bei Paaren der Fall sein, die mit der eigenen Sexualität abgeschlossen haben – vordergründig. In einem solchen Fall, und wenn sich die Situation mit Gesprächen und professioneller Hilfe nicht verändern lässt, der eine Partner/die eine Partnerin also tatsächlich keinen Sex mehr möchte, kann eine Zweitbeziehung eine alternative Möglichkeit sein.

Massiver Vertrauensverlust
Wenn dem allerdings nicht so ist, bedeutet eine Affäre neben einer Paarbeziehung wohl mit Sicherheit einen massiven Vertrauensverlust, vor allem dann, wenn der betrogene Partner/die betrogene Partnerin zufällig auf das Verhältnis kommt. Da stellt sich schon die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Paarbeziehung, die zu dieser Konstellation geführt hat. Wenn der betrügende Partner/die betrügende Partnerin dennoch willens ist, mit dem eigenen Partner/der eigenen Partnerin einen Neuanfang zu wagen, wenn offene Gespräche geführt, die Beziehung vollständig überdacht und – weil wahrscheinlich notwendig – professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird, kann auch eine Affäre zu einem Neubeginn in der ursprünglichen Beziehung führen.

Notorische Fremdgänger
Menschen, die notorisch fremdgehen, obwohl sie in einer Beziehung leben, sollten sich – so die Beziehung nicht „offen“ geführt wird, also mehr oder weniger jedeR PartnerIn sich sexuell auch mit anderen ausleben darf, was allerdings nur in den aller seltensten Fällen wirklich ohne Verletzungen eines der beiden PartnerInnen funktioniert – gelegentlich die Frage stellen, warum sie das tun. Notorische FremdgängerInnen suchen etwas, das sie offensichtlich in ihrer Beziehung nicht finden können. Professionelle Hilfe ist hier ein wichtiges Mittel, egal, ob die Ursprungsbeziehung dadurch gerettet werden kann oder der Betroffene es letzten Endes schafft, sich auf eine Paarbeziehung ohne Fremdgehen einzulassen.

Bilanzmethode:
Fremdgehen muss nicht das Ende einer Beziehung bedeuten. Es kann sogar manchmal zu einem Neuanfang führen, der das Paar letztlich gestärkt aus dieser Erfahrung herauskommen lässt. Es ist allerdings immer problematisch, den Partner/die Partnerin zu betrügen, weil das immer mit einem massiven Vertrauensverlust einhergeht. Die Aufarbeitung dieses Vertrauensverlustes, die Wiederherstellung von Vertrauen und Offenheit in einer Beziehung, das kostet viel Arbeit, Zeit und Geduld.
Besser wäre die „Bilanzmethode“. Fragen Sie sich doch, wenn Sie in Versuchung sind, wie gut ihre aktuelle Beziehung ist, was Sie daran lieben und schätzen – und dann setzen Sie dies in Beziehung mit dem aktuellen Objekt Ihrer Begierde und stellen sich die Frage: Will ich das wirklich aufs Spiel setzen?
