Gangbang, Blowjob und Analsex
Vor 40 Jahren war es noch – verhältnismäßig – einfach: Magazine mit expliziten Inhalten wurden maximal unter dem Ladentisch verkauft, Sexfilme in Kinos unterlagen Jugendbeschränkungen und zu Hause und in der Schule war Sexualität sowieso ein Tabu. Selbstverständlich war es auch damals möglich, an Schmuddelheftchen und Sexfilme heran zu kommen. Einfach war es nicht. Erst das Internet und Video- bzw. DVD-Technologie haben zu einer „Explosion“ von pornographischen Inhalten geführt.

Porno-Explosion
Das ist nicht übertrieben: Die Pornoindustrie hat 2006 (soweit die aktuellsten Zahlen) weltweit mehr als 97 Milliarden Dollar (knapp 81 Mrd. Euro) umgesetzt. Zum Vergleich: Das ist mehr als die Unternehmen Microsoft, Google, Amazon, Yahoo, Apple, Netflix und Earthlink im Jahr erwirtschaften.1
Zwischen 1988 und 2006 stieg die Anzahl der produzierten Pornofilme von 2.000 auf über 12.000 Filme pro Jahr. Die Inhalte, die gratis oder gegen Bezahlung im Internet erhältlich sind, sind da noch gar nicht mitgerechnet.

Porno-Chic
Daneben hat sich ein weiterer Trend entwickelt, der sogenannte „Porno-Chic“. PornodarstellerInnen gelten in ihrer optischen Erscheinung durchaus als nachahmenswert – gerade für Jugendliche und hier besonders für die Mädchen. Das ist problematisch – denn die Mädchen, die sich auf diese Weise stylen, senden Signale aus, für die sie eigentlich noch viel zu jung sind, und die sie, die hier eigentlich nur einem Modetrend folgen wollen, höchstwahrscheinlich auch gar nicht ausstrahlen wollen.

Ungebremster Trend
Pornographie hat definitiv den Weg in den Mainstream gefunden – und wenn Erwachsene, soweit sie sich mit ihrer Sexualität auseinander gesetzt haben, mit dem Thema mehr oder weniger gut umzugehen gelernt haben, bricht auf Kinder und Jugendliche dieser Trend häufig ungebremst – und mit durchaus auch negativen Folgen herein.

Fantasiewelt
Eine Studie des Jugendmagazins Bravo aus dem Jahr 2009, für die Kinder und Jugendliche ab 11 Jahren zum Thema befragt wurden, kam zum Ergebnis, dass 69 Prozent der Jungen und 67 Prozent der Mädchen schon pornographische Inhalte aus dem Internet konsumiert haben. Und nachdem das Thema „Sexualität“ heute noch fast genauso tabuisiert ist, wie vor 40 Jahren, können die wenigsten dieser Jugendlichen das Thema Pornographie in irgendeiner Weise einordnen – als Fantasieprodukt nämlich, das mit Realität aber auch schon gar nichts zu tun hat.
In Jugendberatungsstellen, wie Firstlove, kommen dann Mädchen, die fragen, wie Analverkehr schmerzlos stattfinden könne, weil die Frauen in den Pornofilmen angeblich so viel Spaß dabei hätten. Pornographie lässt eine erwachsene, gleichberechtigte Sexualität, bei der auf die Wünsche aller Beteiligten Rücksicht genommen wird, in der es lustvoll und sinnlich „zur Sache geht“, nicht zu.

Keine „Generation Porno“
„Dennoch“, so die deutsche Medienforscherin Prof. Dr. Petra Grimm, „könne sie die vielbeschworene „Generation Porno“ nicht sehen.“ In einer im April 2010 veröffentlichten Studie hat sie 35 Jugendliche – Mädchen und Burschen – zu ihren Erfahrungen mit Pornographie befragt. Es ist, wie so oft, nicht der Konsum von Pornographie allein, der Mädchen und Burschen in der Entwicklung ihrer eigenen Sexualität hemmt oder sogar massiv behindert. Das Umfeld der Kinder und Jugendlichen darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, ja spielt dabei sogar die wesentlichste Rolle.
Wer Eltern und/oder Bezugspersonen hat, denen der Internetkonsum ihrer Kinder nicht egal ist, wer sich mit seinen Eltern, seiner Peer Group und in der Schule über Pornographie auseinander setzen kann – und dabei auch Fragen stellen darf, die durchaus eine Herausforderung darstellen: „Mama, was ist ein Gangbang?“ – der wird das omnipräsente Thema Pornographie auch richtig einordnen können.

Ahnungslose Eltern – überforderte LehrerInnen
Fakt ist allerdings, die meisten Eltern haben nicht die geringste Ahnung, was ihr Nachwuchs so im Internet treibt, wissen gerade mal, was Facebook und Myspace ist. Nicht wissen führt zu Angst und Angst führt dann zu reflexartigen Reaktionen wie: Man muss das alles verbieten.
Das ist natürlich Unsinn. Verbote führen meist nur dazu, dass pornographische Inhalte noch interessanter werden. Und für sogenannte „Digital Natives“ – also jene, die mit Internet, Handy und diversen anderen Mobile Devices aufgewachsen sind, stellen Verbote meist keine Hindernisse dar.
Im Buch „Generation Porno“ von Johannes Gernert (Buchbesprechung siehe Link) wird eine Lösung vorgeschlagen, die im Umgang mit Pornographie – sei es jetzt die aus dem Internet, auf DVDs oder der ganz alltäglich gewordene „Porno-Chic“ wohl die einzige Möglichkeit darstellt, wie man Kinder und Jugendliche vor Pornographie schützen und ihnen einen selbstbestimmten, erwachsenen Zugang zu Sexualität ermöglichen kann: Der Vorschlag klingt einfach – er lautet: Reden, reden, reden. In der Umsetzung („Papa, was ist ein Blowjob?“) stellt er aber die betroffenen Erwachsenen vor eine Reihe von Herausforderungen, nicht zuletzt auch die Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Biographie.

Offen für Fragen sein
Sexualerziehung klingt erst mal unsexy – ist aber etwas, das bereits im Kindergartenalter beginnen sollte. Dabei geht es nicht um eine biologische Darstellung aller möglichen sexuellen Varianten. Es geht darum, Fragen offen und kindgerecht zu beantworten. Dabei geht es gar nicht um das große „Aufklärungsgespräch“, das Kinder, aber auch Jugendliche durchaus restlos überfordern kann.

Unzureichende Filter
Außerdem müssen sowohl Eltern als auch die Schulen/Ausbildungsstätten verstärkt in die Pflicht genommen werden. Internetfilter können eine Möglichkeit darstellen, wie explizite Inhalte von Kindern und Jugendlichen ferngehalten werden können – theoretisch. Das Gespräch über gesehene Inhalte, das Wissen, in welchen Foren, Chatrooms und Social Networks das eigene Kind aktiv ist, können sie auf keinen Fall ersetzen. Und das hat nichts mit „Nachspionieren“ zu tun. Vielmehr geht es um einen gemeinsamen Zugang, um die Kommunikation und die notwendigen Erklärungen, warum manches nicht angeschaut werden soll.

Zensur ist sinnlos
Das Internet ist eine grandiose Sache. Zensur ist hier problematisch und wird es auch immer bleiben, schon weil das Internet eben keine Landesgrenzen kennt. Anstelle von Verboten sollte Aufklärung, Unterstützung und Hilfe stehen. Wie schwierig das im Alltag sein kann, zeigt sich – und auch das ist immer wieder in Studien zu lesen – wenn Kinder und Jugendliche allein gelassen werden, wenn sie keine erwachsenen AnsprechpartnerInnen haben und sich lediglich an ihrer Peergroup orientieren können.
Dann wird Pornographie, speziell die immer populärer werdende Gewaltpornographie, gefährlich. Nicht nur, weil sie vollkommen abstruse Wirklichkeiten von Sexualität konstruiert, sondern auch, weil sie die Frauen und Männer in diesen Filmen zu Puppen macht, die, ohne Rücksicht auf eigene Befindlichkeiten, ihren „Stellungskrieg“ durchziehen müssen.
