In memoriam Dr. Ulrike Brandenburg
Am 24. Mai erreichte uns in der Redaktion die traurige Nachricht, dass Dr. Ulrike Brandenburg einer schweren Erkrankung erlegen ist. Viel zu früh hat diese engagierte, freundliche, fröhliche und warmherzige Ärztin, die im deutschen Aachen ihre Praxis führte, die Welt verlassen müssen. Einige Wochen vor ihrem Tod hatte SexMedPedia die Gelegenheit, ein letztes, kurzes Interview mit Ulrike Brandenburg zu führen. Voller Optimismus sprach sie über ihre Arbeit, ihre Ansichten und über sich selbst. Lesen Sie nachstehend, was die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin, die sich Zeit ihres Lebens für Beziehungen, Partnerschaft und sexuelle Gesundheit eingesetzt hat, zu sagen hatte.
Inhaltsangabe
- Wer ist Ulrike Brandenburg – zur Person:
- Warum beschäftigen Sie sich mit Sexualität und Erkrankungen?
- Welches sind Ihre Lieblingsthemen?
- Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?
- Wo sehen Sie nach wie vor große Probleme?
- Wie wird sich die Sexualität in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
- Wohin wird sich die Sexualmedizin in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
- Was tut Ulrike Brandenburg, wenn sie nicht arbeitet?
- Lieblingsfarbe?
- Lieblingsbuch?
- Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
- Am 31. Mai wurde Dr. Ulrike Brandenburg zu Grabe getragen.
Wer ist Ulrike Brandenburg – zur Person:
Ich bin 56 Jahre alt, ich bin Fachärztin für psychotherapeutische Medizin, Paar- und Familientherapeutin. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder.
Warum beschäftigen Sie sich mit Sexualität und Erkrankungen?
Ich bin über die Psychosomatik zu diesem Thema gekommen. Ich habe lange in einer Klinik mit diesem Schwerpunkt gearbeitet. Und häufig deuteten die PatientInnen gegen Ende der Therapie, nicht selten im Abschlussgespräch an, es gäbe da ein Problem mit der Lust. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, mit wie viel Scham dieses Thema noch immer behaftet ist. Leider werden die Themen Sexualität und Lust aber nicht nur von den PatientInnen oft schamhaft verschwiegen, sondern auch von ÄrztInnen tabuisiert. Im Medizinstudium lernen sie darüber überhaupt nichts. Dabei haben diese Themen einen unglaublichen gesundheitlichen Impact.
Ich fing dann an, mich immer mehr mit diesen Themen zu beschäftigen und baute – mit Unterstützung meines damaligen Chefs, Prof. Dr. E. R. Petzolt – die erste Sexualambulanz auf. Zuerst hieß es, das wird ein Flop, da wird niemand kommen, die werden alle Angst haben. Aber das stimmte ganz und gar nicht: Ratzfatz war die Ambulanz voll. Ich habe die Ambulanz dann raus aus der Klinik in meine eigene Praxis überführt – und sie läuft immer noch toll.
Sexualität ist ein Thema, das meiner Ansicht nach ganz wundervoll die Naturwissenschaft und die Kultur vereinbart. Und letztlich komme ich mit vielen spannenden Menschen zusammen, was ebenfalls ein Aspekt ist, warum ich mich mit diesem Themenkomplex auseinander setze.
Welches sind Ihre Lieblingsthemen?
Eines meiner absoluten Lieblingsthemen ist das weibliche Begehren. Es wird ja häufig so getan, als würde man alles darüber wissen. Ich bin aber der Meinung, dass in diesem Bereich sehr viele Fragen offen sind, gerade wenn wir uns daran machen wollen, das weibliche Begehren medikamentös zu beeinflussen. Ein anderes Thema, das mich sehr interessiert, ist die Sexualität im Alter. Und letztlich beschäftige ich mich sehr mit dem Thema „Entwicklung sexueller Beziehungen nach sexuellen Gewalterfahrungen.“
Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Ich mache diese Arbeit, weil ich Beziehungsmedizinerin bin. Ich arbeite vor allem mit PatientInnen, deren oft unglaubliche Geschichten zeigen, wie viel Inszenierung von Intimität und Sexualität und Beziehung passiert.
Da geht es um das Thema Sexualität und Liebe, um das Ringen um die Liebe, aber auch um Blockierungen, die dieses Ringen, die eine offen und entspannt gelebte Sexualität be- oder manchmal auch verhindern. Manchmal sind das Blockierungen, die aufgrund von unbewältigten Konflikten auftreten, manchmal handelt es sich auch einfach um mythenhafte Vorstellungen von Sexualität, die in den Menschen gigantische Erwartungsängste aufbauen.
Wenn solche Blockierungen nicht gelöst werden, hat das bei vielen Paaren traurige Auswirkungen auf ihre Liebe.
Wo sehen Sie nach wie vor große Probleme?
Ein großes Problem ist sicherlich der schon erwähnte Erwartungsdruck. Das macht gerade auch den jungen Leuten Stress. Ein gewisses Problem sehe ich auch in der Funktionalisierung von Sexualität. Wir beginnen jetzt verstärkt über die Funktion von Sexualität zu arbeiten.
Wir erleben aber immer wieder: Es ist nicht – oder nicht nur die Funktion, die Menschen glücklich oder unglücklich macht. Ich bin auch erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung – wir vertreten eine sehr kritische Sicht auf das Thema „Sexualität und seine Funktion“.
Wie wird sich die Sexualität in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
Ich sehe zwei Tendenzen: Die erste Tendenz wird die Sexualität immer weiter funktionalisieren. Es wird – analog von Fitness-Centers – vielleicht Sex-Zentren geben, wo sich Leute fitter für das Thema Sex machen können. In einer solchen Welt wird der Sex das Thema Liebe überholen.
Die andere Tendenz, die ich sehe, zeigt, dass Sex immer unwichtiger wird. Ich sehe, wie sich Leute in ihren Beziehungen wieder viel stärker der Liebe widmen, ich würde das als Reromantisierung bezeichnen. Das findet sich gerade bei jungen Leuten häufig.
Leider nimmt ja die Lustlosigkeit bei Paaren immer weiter zu. Das lässt Beziehungen zerbrechen, allerdings längst nicht alle. Wir sehen unendlich viele Paare, wo der Mann etwa keine Lust auf Sex hat. Die Partnerinnen sagen dann oft, dieser Zustand mache sie traurig, wäre aber dennoch kein Grund, die Beziehung zu beenden. Ich nenne das den „Sex is over“-Trend.
Wohin wird sich die Sexualmedizin in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
Ich denke, die Sexualmedizin wird immer weiter Eingang in die Medizin finden. In der Allgemeinmedizin, in der Jugendmedizin, aber auch in der Inneren Medizin spielt Sexualität eine wichtige Rolle. Das halte ich für sehr wichtig. Denn Sexualität spielt in alle Lebensbereiche und natürlich auch in alle medizinischen Belange hinein. Dies betrifft insbesondere das Thema chronische Erkrankungen. Sexualität und Lust hören ja nicht auf, nur weil jemand chronisch krank ist. Ich hoffe also, die Sexualmedizin wird Eingang finden in alle Bereiche der Medizin.
Ganz wichtig wäre das etwa auch beim Thema Psychiatrie: Viele Frauen mit Persönlichkeitsstörungen, die ich behandelt habe, haben massive Probleme mit Sexualität, weil sie sexuelle Gewalterfahrungen hinter sich haben. Die werden in der Psychiatrie wegen ihrer Angstzustände, Panikattacken und Somatisierungsstörungen behandelt. Das Thema Sexualität bleibt dabei oft auf der Strecke. Da wünsche ich mir mehr Information, auch Leitfäden für Sexualmedizin.
Hier wird meiner Meinung nach im Augenblick viel zu sehr der Blick auf die Funktion gelenkt, aber das Sprechen über Sexualität, das geht noch gar nicht. Wir merken das, wenn wir mit ÄrztInnen sprechen, denen fällt es leicht, etwas über Funktionen zu lernen, aber wenn wir beispielsweise Rollenspiele veranstalten, bei denen es um das Sprechen über Sexualität mit PatientInnen geht, da haben sie keine Ahnung. Es braucht dringend Trainings in diesem Bereich für die KollegInnen.
Was tut Ulrike Brandenburg, wenn sie nicht arbeitet?
Ich bin sportlich, spiele gerne Tennis und die Geselligkeit liegt mir sehr am Herzen. Ich bin sehr gerne mit FreundInnen zusammen. Ich bin sehr gerne im Norden, etwa in Dänemark, weil ich das nordische Licht so gerne mag – und ich lese sehr gerne.
Lieblingsfarbe?
Eisgrautürkis – Aquamarin, wie die Nordsee
Lieblingsbuch?
Ich liebe Krimis, vor allem die von dänischen, schwedischen und norwegischen AutorInnen.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ich hätte gerne mehr Zeit für mich, ich bin ein Mensch, der ständig arbeitet, ständig produziert. Stattdessen würde ich mir gerne mal mehr Zeit für die Muße nehmen, um aufzunehmen, zu recherchieren und zu lernen.
Am 31. Mai wurde Dr. Ulrike Brandenburg zu Grabe getragen.
Dr. Ulrike Brandenburg ist am 24. Mai verstorben. Dennoch hatte sie bis zuletzt einen ungebrochenen Lebenswillen – was man schon an der Beantwortung der letzten Frage sieht.
Ihre Todesanzeige finden Sie hier
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