Ein "Bilderbuch" als Denkmal für die Yoni
Geht es um die Vulva, herrscht nach wie vor große Scham: Nicht nur wird nicht darüber gesprochen, vielmehr scheint diese Körperregion mittlerweile auch dem „großen Körperkult“ zu unterliegen, dem der weibliche Körper an sich ja schon seit Jahren unterworfen zu sein scheint. Nach Gesichtsliftung, Busenkorrektur und Bauchstraffung soll nun auch die Vulva operativ designt werden – eine Entwicklung, der viele Frauen, insbesondere aber auch die deutsche Autorin Grit Scholz – mit großer Sorge gegenüber stehen.
Mit Ihrem Buch „Das Tor ins Leben“ hat sie versucht, einen Gegenentwurf zur „Design-Vulva“ zu schaffen. Sie bildet in mehreren Kapiteln mit den Titeln: montagen, birth, frontal, open, perspektive, transformation und collection, die Yonis von 65 Frauen im Alter zwischen 18 und 75 Jahre ab, die sie selbst fotografiert hat.
Mit dem Buch „Das Tor ins Leben“ hat Grit Scholz einen völlig neuen Blickwinkel auf die Vulva geworfen – einen freien, sinnlichen, einfach schönen Zugang, der den LeserInnen hilft, sich selbst, ihre Vulva und ihre Körperlichkeit in einem ganz neuen Zusammenhang zu sehen: als ein Wunder der Vielfalt, individuell, gesund, schön und mystisch – um letztlich zu erkennen: die Normalität liegt in der Einzigartigkeit, nicht in der Norm.
Grit Scholz hat SexMedPedia das nachfolgende Interview gegeben:

Was brachte Sie auf die Idee für dieses Buch?
Scholz: Die Idee ist alt – ich hatte sie schon in meiner Pubertät. Damals kannte ich das Wort „Yoni“ für Vulva, welches aus dem Sanskrit kommt und in der tantrischen Kultur verwendet wird, noch nicht. Mein Unbehagen begann schon damit, dass ich kein Wort für meine Yoni hatte, welches mir leicht und selbstverständlich von den Lippen ging. Als ich etwa 13 Jahre alt war, veränderte sich meine Yoni so stark, dass ich dachte, das kann nicht normal sein – ich bin krank. Zu dieser Zeit konnte ich niemanden fragen – auch Anschauungsmaterial fehlte komplett. Mir wurde klar, die Vulva ist eine Tabuzone – und schon damals habe ich mir ein „Bilderbuch“ gewünscht, indem man sich ungezwungen anschauen kann, wie die Vulva einer Frau aussehen kann.
Damit war die Idee zum Buch geboren – die Umsetzung folgte allerdings erst einige Jahrzehnte später. Das Thema hat mich jahrelang verfolgt: Egal ob in der Auseinandersetzung mit meinem eigenen Körper oder im Gespräch mit anderen Frauen. In all den Jahren habe ich nicht eine Frau getroffen, die keine Frage zu ihrer Vulva hatte, die nicht verunsichert war, was das Aussehen ihrer Yoni betrifft. Im Laufe der Zeit kristallisierte sich ganz deutlich heraus: Dieses Thema ist nicht – nur – mein Problem, vielmehr handelt es sich hier um ein gesellschaftliches Tabu – hier fehlt Wissen und Aufklärung, sowie eine positive und respektvolle Sichtweise jenseits von Sexualisierung.

Wann wurde die Umsetzung dieser Idee konkret?
Scholz: 2006 lebte ich in einer alternativen Gemeinschaft, in der ich unter 15 Frauen war. Damals habe ich meine Idee in dieser Gruppe besprochen – und die Begeisterung war groß. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar gewesen, dass ich alles mitbrachte, um ein solches Buch selbst herauszubringen: Ich bin Graphikdesignerin und Fotografin, habe etwas Verlagserfahrung und sehr viele Kontakte zu Frauen – im Prinzip fehlte lediglich die Entscheidung: Ich mache das Buch. Und diese Entscheidung habe ich nach all diesen Gesprächen und Erkenntnissen mit anderen Frauen getroffen.

Erzählen Sie uns, wie das Buch entstanden ist:
Scholz: Im Vorfeld standen vor allem Überlegungen zur Darstellungsweise im Mittelpunkt. Ich wollte jedenfalls alles vermeiden, das als „pornographisch“ oder „medizinisch“ gelten konnte. Deswegen finden sich im Buch „Das Tor ins Leben“ auch nur Bilder von Yonis – keine Beine, kein Po, nichts, was üblicherweise als „erotisch“ konnotiert wird – die Konzentration liegt einzig und allein auf den Yonis. Ich wollte diesen Körperteil in all seiner Vielfalt zeigen – schließlich kam mir die Idee, die Fotografien der Yonis unterschiedlichen Naturbildern gegenüberzustellen, die eine ähnliche Form oder Farbe haben, um die Vielfalt heraus zu arbeiten. Ich wollte festhalten, dass jede Form, Farbe, Größe natürlich und es Wert ist, unvoreingenommen betrachtet und angenommen zu werden.

Welche Frauen haben Sie angesprochen – wie liefen die Fotosessions ab?
Scholz: Ich habe Fotosession-Workshops für Frauen angeboten, die sich intensiv mit dieser Körperregion befassen wollten. Es gab ganztätige Veranstaltungen, in denen die Frauen in die Sauna gehen, tanzen und reden konnten. Es gab Körperbemalung, Meditation, Tanz, Massagen, leckeres Essen und intensiven Austausch. Daneben gab es auch weniger intensive Abendveranstaltungen. In diesen Settings entstanden die Fotos. Ich habe aber auch Einzelsessions angeboten, für jene Frauen, für die die Gruppenatmosphäre kein geeigneter Raum war.
In insgesamt fünf Monaten hatte ich die Gelegenheit 65 Frauen zwischen 18 und 75 Jahren zu fotografieren. Ich habe den Frauen diese Fotosessions kostenlos angeboten und so, dass sie hinterher selbst entscheiden konnten, ob sie die Fotos für das Buch zur Verfügung stellen wollten. Die meisten haben das gerne getan – zwei haben abgesagt, witziger Weise, weil ihre Männer nicht wollten, dass die Fotos veröffentlicht werden.

Auch ihre Mutter und ihre Tochter haben sich als „Fotomodels“ zur Verfügung gestellt – was ging diesem Entschluss voraus?
Scholz: Mit diesem Buch, wollte ich Menschen einladen, sich ihrer Sichtweise auf die weiblichen Genitalien bewusst zu werden und diese, sollte sie abwertend, verschämt und lebensfeindlich sein, gegebenenfalls zu verändern. Mein Gefühl war, wenn meine eigene Familie und meine FreundInnen nicht sehen und verstehen, worum es bei meiner Arbeit tatsächlich geht, dann brauche ich dieses Buch nicht zu machen. Man könnte sagen, es war ein Test, ob das Buch und ich als Person es schaffen, alte Muster zu überwinden.
Die Autorin Charlotte Roche* erzählt in Interviews, sie hätte ihren Eltern verboten, ihr Buch zu lesen – das ist aber nicht mein Zugang. Wenn ich diese wichtige Arbeit nicht in meiner Familie und meinem FreundInnenkreis zeigen kann, wie soll ich dann die LeserInnen und BetrachterInnen berühren?
Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis das Thema bei meinen Eltern „durch“ war. Anfangs war da Entsetzen, kamen ganz viele Vorurteile zum Vorschein, schon weil die Generation meiner Eltern gar keinen Zugang zu diesem Thema hat. Ich habe aber nicht aufgegeben, und immer wieder davon erzählt, bis meine Mutter mir ein wunderschönes Geschenk machte, als sie mich fragte: „Möchtest Du nicht auch Dein Tor ins Leben fotografieren?“
Und meine große Tochter, die damals 18 Jahre alt war, hat das Buchprojekt durchaus positiv beurteilt, selber aber gesagt, sie könne sich nicht vorstellen, ihre Yoni in dem Buch zu veröffentlichen. Als das Buch dann fast fertig war, kam sie zu mir und sagte mir, sie möchte doch in das Buch. Mir hat das gezeigt, dass es möglich ist, dass Frauen aus drei Generationen einen gemeinsamen natürlichen Umgang zum Thema Vulva finden können, egal mit welchen tabuisierten und negativen Glaubenssätzen sie aufgewachsen sind. Das war eine wesentliche Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin.

Was möchten Sie mit Ihrem Buch ausdrücken – was ist Ihre Botschaft?
Scholz: Ich möchte damit die tiefe Wertschätzung für den eigenen Körper und speziell für die Yoni stärken – ins Bewusstsein holen, dass dies tatsächlich „Das Tor ins Leben“ ist. Ich möchte die Sexualisierung und Tabuisierung dieses Körperteils bewusst machen und die Frauen dazu einladen, einen liebevollen und verehrenden Zugang zu ihrer Yoni zu finden. Ich sehe das Buch auch als Inspiration, sich die eigene Yoni anzuschauen und sich damit auseinander zu setzen, wie sie sich je nach Befindlichkeit und im Laufe des Lebens verändert – und das jede Yoni ihre eigene Schönheit besitzt, die nicht „getuned“ werden muss.

Sie bezeichnen die Yoni auch als „Spiegelbild“ des eigenen Wesens – was meinen Sie damit?
Scholz: Beim Fotografieren der vielen unterschiedlichen Yonis fiel mir eine ganz deutliche Verbindung zwischen dem Wesen der Frau und ihrer Yoni auf. Die Yoni ist wie das zweite Gesicht der Frau. Eine 70jährige Frau, die ich fotografiert habe, war sehr anmutig, mit langen weißen Haaren und tänzerischen Bewegungen – ihre Yoni zeigte auch tanzende Schamlippen. Und eine andere Frau war sehr verschlossen – und auch ihre Yoni war sehr eng, verschlossen, wie festgezurrt. Wenn eine Frau sich in ihrem Wesenskern verändert, zeigt sich das auch an ihrer Yoni. Das ist kein fixes Bild, vielmehr verändert sich – wie die Frau – auch ihre Yoni mit ihrem Leben.

Wie haben Sie die Arbeit an Ihrem Buch selbst empfunden?
Scholz: Für mich war es eine große Herausforderung und ein Abenteuer. Mir sind im Laufe der Arbeit tiefe Zusammenhänge bewusst geworden: Die Vulva gilt ja seit hunderten von Jahren als tabuisierte Zone, eine Ansicht, die nicht zuletzt durch die Kirche geprägt wurde. Denken Sie an die „unbefleckte Empfängnis“ – Frauen, die Kinder bekommen, werden also als „befleckt“ gesehen. Und dieses Stigma ist nur sehr schwer auszurotten. Ich begann geschichtlich zu forschen, wann wir Frauen uns unserer schöpferischen Kraft und Macht berauben ließen, wann wir so klein und erniedrigt und von Männern abhängig wurden. Hier steckt eine jahrhundertealte Suggestion dahinter, die sehr viel mit der Angst der Männer vor der weiblichen Kraft zu tun hat.
Dazu gibt es seit 2008 ein Buch von Mithu Sanyal mit dem Titel “Vulva”. Sanyal fasst darin die weibliche Kulturgeschichte zusammen, so dass einige Zusammenhänge unseres heutigen kollektiven Traumas in Bezug auf die Vulva deutlich werden.

Wie waren die ersten Reaktionen auf „Das Tor ins Leben“ und wie haben Sie darauf reagiert?
Scholz: Anfangs passierte gar nichts – der Skandal blieb vollkommen aus. Das Interesse der Medien war sehr gering. Ich habe eine Fotoausstellung mit Bildern aus dem Buch in Berlin gezeigt, die durchaus Anklang fand – aber eben nur in einem kleinen Kreis, der sich mit diesem Thema auseinandersetzen wollte. Ich habe dann unermüdlich gearbeitet, meine Ausstellung in vielen Städten gezeigt‚Vorträge und Diashows angeboten – da ich immer wieder den Zusammenhang meiner Arbeit mit dem Thema Genitalverstümmelung und Designer-Vagina betonte, wurden dann doch einige Medien hellhörig. Plötzlich war das Interesse groß.

Wie geht es jetzt weiter – was sind Ihre Pläne?
Scholz: Ich reise noch immer viel mit der Ausstellung und dem Buch. 2008 habe ich meine Ausstellung auf einem Berliner GynäkologInnen-Kongress gezeigt. Da wurde mir vorgehalten, ich hätte „Absurditäten“ fotografiert. Man sieht, selbst MedizinerInnen, die tagtäglich mit diesem Thema konfrontiert sind, haben Normen im Kopf und keine innere Erlaubnis wirklich hinzuschauen. Auch viele Hebammen kennen inzwischen meine Arbeit und haben mir bestätigt, dass sie seitdem ihren Beruf ganz neu erleben, es war ihnen vorher gar nicht bewusst, wie sehr Hemmungen und moralische Verbote oder Tabus ihr Fühlen und Handeln bestimmt haben. Ich schreibe immer wieder Artikel zu Themen wie „Designvagina“ und erdreiste mich, Genitalverstümmelung und Designervagina in einen Zusammenhang zu stellen, nämlich den der Nichtachtung und Nichtakzeptanz der Weiblichkeit schlecht hin - was mir auch viel Kritik einbringt.

Die Genitalverstümmelung im Namen der Schönheit ist ein wichtiges Thema für Sie – warum?
Scholz: Ich bekomme sehr viele Briefe von LeserInnen, die mir schreiben, sie hätten erst durch das Buch einen Zugang zu ihrer eigenen Yoni bekommen. Mir schreiben auch Frauen, die ihre Yoni operativ verändern ließen und danach mein Buch lasen. Die sagen: Hätte ich „Das Tor ins Leben“ vor der Operation anschauen können, hätte ich eine völlig andere Sichtweise bekommen. Das berührt mich sehr. Mir wurde klar, dass Frauen, die den Schritt zur Genitaloperation wagen, oft so überzeugt davon sind, eine hässliche Yoni zu haben, dass sie diesen Schritt letztlich machen müssen. Ich möchte einen anderen Weg gehen, ich möchte Aufklärungsarbeit leisten, es soll keine Frau mehr geben, die meint, ihre Yoni sei hässlich oder nicht normal.

Was wollen Sie den UserInnen von www.sexmedpedia.at mitgeben?
Scholz: Ich rate zu einem bewussten und liebevollen Umgang mit dem eigenen Körper. An den Stellen, an denen das nicht gelingen will, sollten sie sich selbst befragen, warum sie das so empfinden? Wo kommt das her? Sie dürfen sich erforschen, in sich gehen und versuchen, herauszufinden, woher diese „Missempfindung“ stammt. Die negative Sichtweise auf die Yoni kommt nicht aus den Frauen selbst, es ist ein Bild, das von außen aufgezwungen wurde und wird – nur haben viele Frauen das inzwischen verinnerlicht. Wenn einer Frau das klar wird, dann kann sie anfangen, Wertschätzung und Dankbarkeit für ihre Yoni aufzubauen.
- Die Moderatorin und Autorin Charlotte Roche veröffentlichte 2008 den Roman „Feuchtgebiete“
