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Kopf der Woche: Bettina Weidinger

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Bettina Weidinger leitet gemeinsam mit Mag. Wolfgang Kostenwein das Österreichische Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien. Zusammen haben die beiden die sexualpädagogische und sexualtherapeutische Szene in Österreich stark geprägt. Bettina Weidinger arbeitet sexualpädagogisch mit Kindern und Jugendlichen, mit Menschen mit Behinderung oder Lernschwierigkeiten und mit basalen Kindern. Sexualtherapeutisch berät sie Frauen und Paare, leitet Workshops und hält Vorträge.

Wer ist Bettina Weidinger? Zur Person.

Ich bin im Innviertel geboren und aufgewachsen. Dies ist eine Sache, die mich in meinem Leben geprägt hat und bis heute auf gewisse Weise leitet. Ähnlich geht es mir mit meinem Elternhaus – ich bin in einem Wissenschafter- und Buchhändlerin-Haushalt aufgewachsen. Bis heute kann ich weder von den Büchern, noch vom Querdenken lassen. Später hat mich meine Ausbildung zur Sozialarbeiterin weiter geprägt. Meine Neugierde und mein Spaß am Beraten haben mich schon recht früh in die Sexualpädagogik geführt. Seit dem sexualpädagogischen Beginn nehme ich mehrmals die Woche ein Coaching in Anspruch, das mich fördert, fordert und vorantreibt.
Meinen Beruf betrachte ich als eine Art Bauernhof – die Grenzen zwischen Privatleben und Arbeit sind fließend – ich arbeite oft am Wochenende oder am Abend, einfach dann, wenn es möglich ist und kann beides – den Beruf und die Freizeit sehr genießen.
Ich bin sehr glücklich verheiratet, habe zwei Kinder und durfte sieben Jahre lang meinen Stiefsohn in der Rolle als Stiefmutter begleiten. Meine Familie ist mir absolut wichtig.

Warum beschäftigen Sie sich mit Jugendlichen und Sexualität?

Ich würde sagen – ich beschäftige mich mit Menschen und mit Sexualität. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht mir irrsinnig Spaß. Erstens, weil es tatsächlich meist lustig ist, aber vor allem auch deshalb, weil ich die Art der Kommunikation, die unverblümte Ehrlichkeit, die Direktheit, wenn etwas nicht passt in Verbindung mit dem Wunsch nach Orientierung und Sicherheit an Jugendlichen so schätze. Ich mag diese Zielgruppe einfach. Und – fachlich gesehen, macht es natürlich Sinn mit jungen Menschen zu arbeiten. In der Sexualität geht es ja um die Entwicklung von Kompetenzen auf unterschiedlichsten Ebenen. Das ist in jedem Alter möglich. Wenn aber schon Jugendliche einen Zugang zu den eigenen Ressourcen finden, wenn bereits Jugendliche die Chance haben, Gerüchte zu klären und Kompetenzen zu entwickeln, dann bin ich davon überzeugt, dass so manche mögliche sexualtherapeutische Problematik weniger leicht auftreten kann. Ich habe in meiner Praxis so oft Klientinnen, bei denen ich mir sicher bin, dass die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt die eine oder andere Schwierigkeit verhindern hätten können. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich arbeite sexualpädagogisch mit Kindern und Jugendlichen weil es unheimlich Spaß macht und weil es im Sinne der Gesundheitsvorsorge einfach genial ist!

Welches sind Ihre Lieblingsthemen?

Das ist jetzt wirklich schwierig – an sich ist ja die Sexualität schon das Lieblingsthema. Und innerhalb des Themenkreises beschäftige ich mich gerne mit der Frage, welche unterschiedlichen Zugänge Frauen und Männer zur Sexualität haben und wie sich diese mögliche Unterschiedlichkeit positiv nutzen lässt. Die Förderung der Körperkompetenz, positive Sexualerziehung oder auch die geistige Ebene der Sexualität können mich ebenso in lustvolle gedankliche Beschäftigung bringen.

Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?

Respekt. Respekt vor dem Thema, aber vor allem auch Respekt vor allen Gefühlsreaktionen, die sich bei der Behandlung des Themas zeigen können. Kichernde Jugendliche verdienen denselben Respekt, wie provozierende oder ernste Jugendliche. Es ist mir wichtig Wertschätzung zu zeigen und ich bekomme auch sehr viel Wertschätzung zurück. Genau darum geht es ja auch in der Sexualität – deshalb betrachte ich diesen Aspekt als wesentlich. Als wichtigstes sexualpädagogisches Ziel würde ich das Verbinden von Wissens- Emotions- und Handlungsebene sehen. Wenn es gelingt dazu einen Input zu liefern, dann ist dies in meinen Augen gelungene Gesundheitsvorsorge.

Wo sehen Sie nach wie vor große Probleme?

Die größten Probleme sehe ich darin, dass sexuelle Aktivität und sexuelles Selbstbewusstsein nach wie vor negativ betrachtet werden. Daraus folgt eine defizitorientierte Haltung, die in der Sexualpädagogik hinderlich ist, aber von so manchen sexualpädagogisch Tätigen forciert wird. Damit meine ich das Arbeiten mit der Angst und dem erhobenen Zeigefinger. Drohungen und Schreckensszenarien machen aber nicht handlungskompetent. Angst bewirkt Hilflosigkeit, die zum kompletten Ignorieren von Risikosituationen führen kann. Gesundheitsvorsorge bedeutet in der Sexualpädagogik, wie auch in allen anderen Bereichen, die Förderung der positiven Einstellung zu sich selbst. Denn letztendlich können Menschen nur das schützen, was sie auch schätzen. Wird der eigene Körper, möglicherweise sogar das eigene Leben, angstvoll, negativ und von Gefahren bedroht betrachtet, dann ist es kaum möglich einen verantwortungsvollen Umgang damit zu finden.

Wie wird sich die Sexualität in den kommenden zehn Jahren entwickeln?

Die Sexualität der Menschen hat sich vermutlich innerhalb der letzten paar tausend Jahre nicht verändert. Die Parallelität von emotionalem und körperlichem Geschehen wird auch in den nächsten zehn Jahren bestehen bleiben. Das, was Veränderungen unterworfen ist, ist der sichtbare Umgang mit Sexualität. Wie über Sexualität gesprochen wird, welche gesellschaftlichen Regeln propagiert werden, was als „normal“ angesehen wird und was medial gezeigt wird. Ich nehme mal an, dass die oberflächliche, mechanistische, eher leistungsorientierte Sichtweise von Sexualität bestehen bleiben wird. Und auch, dass die Vorstellungen, durch eine Pille Lust zu schaffen, durch das Drücken von bestimmten Körperstellen eine immer gleich geartete Reaktion hervorzurufen weiter ausgefeilt werden. Möglicherweise kann das auch dazu führen, dass die differenzierte Wahrnehmung des eigenen Körperspürens und der eigenen emotionalen Reaktionen abnehmen werden. Aber nicht deshalb, weil die Menschen „abgestumpft“ werden, sondern weil sie sich dafür möglicherweise weniger interessieren. Planbarkeit, Sauberkeit, Einteilbarkeit, Berechenbarkeit, Machbarkeit stehen jetzt schon sehr häufig auf dem Wunschzettel in Bezug auf die Sexualität. Über das Geheimnis von Anziehung, Berührung, Sehnsucht, Neugierde, von erlebbarer Ekstase, vom Spüren zu sprechen ist in irgendeiner Weise unmodern geworden und ich denke, diese Haltung wird sich noch verstärken. Dennoch wird es immer Menschen geben, die mit einer oberflächlichen Betrachtung der Sexualität nicht zufrieden sind, die sich mit sich selbst und anderen auseinandersetzen wollen.

Was ist Ihr Lieblingsbuch zum Thema Sexualität?

Maitreyi D. Piontek, Das Tao der weiblichen Sexualität

Was ist Ihr privates Lieblingsbuch?

Peter Høeg, Der Plan von der Abschaffung des Dunkels

Was tut Bettina Weidinger, wenn sie nicht arbeitet?

Wie gesagt, Arbeit und Privatleben verschwimmen ineinander. Es kann durchaus sein, dass ich gemütlich in der Sonne sitze und mich gedanklich mit Projekten für die Arbeit beschäftige. Was ich wirklich gerne mache ist, mich im Freien aufzuhalten, im Garten, im Wald, in den Bergen. Ich gehe liebend gerne durch die Landschaft – egal bei welchem Wetter und so ausgiebig wie möglich. Aktivitäten mit meiner Familie, gemeinsames Spielen, Skifahren, Schwimmen gehören einfach zu meinem Alltag dazu, ebenso wie die Musik, die Opernbesuche gemeinsam mit meinem Sohn, das Blödeln mit meiner Tochter, das gemeinsame Singen und natürlich das Lesen. Wobei Bücher so sehr zu meinem Alltag gehören, dass ich diese gar nicht als „Freizeitbeschäftigung“ betrachte. Ich lese in der U-Bahn, ich lese in jeder Wartesituation, ich lese manchmal sogar während des Gehens – wobei ich damit nicht immer die besten Erfahrungen gemacht habe.

Was ist Ihre Lieblingsfarbe und warum?

Farben verbinde ich mit gewissen Gegenständen und Situationen. Ich mag schwarz, weiß und blau bei meiner Kleidung, da bin ich recht konservativ. Ich liebe rot bei manchen Gegenständen, auch als Wandfarbe, bei meinem Kalender, der Handtasche und manchmal auch den Schuhen. In meiner Wohnung mag ich warme, gedeckte Farben. Und in der Natur liebe ich jedes Farbenspiel, zu jeder Jahreszeit.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Ich wünsche mir, dass ich mich im Laufe der nächsten zehn Jahre ebenso intensiv mit meiner Professionalität beschäftige, mich auseinandersetze und reflektiere, wie ich es in den letzten Jahren auch getan habe. Ich möchte geistig in Bewegung bleiben, noch mehr verstehen und noch besser arbeiten – dieses Ziel möchte ich niemals aufgeben.

Autor

Bettina Weidinger (Juni 2010)