Kopf der Woche: Werner Grünberger
Als Prim. Prof. Dr. Werner Grünberger 1992 die erste First Love-Ambulanz in der Wiener Rudolfstiftung gründete, stand das Anliegen dahinter, Jugendlichen die Hemmschwelle zu erleichtern, sich an eine kompetente sexualmedizinische und –psychologische Beratungsstelle zu wenden. Der Erfolg gibt dem Gynäkologen recht: Die First Love-Ambulanz gibt es heute, knapp 20 Jahre später, 14 Mal in Österreich, zwei Mal in Deutschland, einmal in der Schweiz und einmal in Spanien. Auch First Love-Ambulanzen in den USA sind geplant.
Und doch war Grünberger bei der Gründung dieser Ambulanz auf viel Skepsis gestoßen. Wie bei der Einführung der Pille in Österreich ein Vierteljahrhundert zuvor, hieß es auch hier, man fordere Jugendliche durch eine derartige Beratungseinrichtung regelrecht zum ersten Geschlechtsverkehr heraus. Zum Glück ist Grünberger niemand, der sich in seiner Überzeugung beirren lässt. Daher ist er diesmal unser Kopf der Woche.
Inhaltsangabe
- Wer ist Werner Grünberger? Zur Person.
- Warum beschäftigen Sie sich mit Sexualität und Erkrankungen?
- Welches sind Ihre Lieblingsthemen?
- Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?
- Wo sehen Sie nach wie vor große Probleme?
- Wie wird sich die Sexualität in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
- Wo sehen Sie die Sexualmedizin in zehn Jahren?
- Was ist Ihr Lieblingsbuch zum Thema Sexualität?
- Was ist Ihr privates Lieblingsbuch?
- Was tut Werner Grünberger, wenn er nicht arbeitet?
- Was ist Ihre Lieblingsfarbe und warum?
- Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Wer ist Werner Grünberger? Zur Person.
Gynäkologe und Gründer der First Love-Ambulanz.
Den Namen First Love-Ambulanz haben sich die 13 bis 17jährigen Mädchen selbst ausgesucht. Das war uns wichtig, damit die Jugendlichen unsere Ansprechstelle von sich aus aufsuchen. Sie müssen freiwillig zu uns kommen - und das tun sie auch.
Das Konzept steht auf drei Säulen: die First Love-Ambulanz ist kostenlos, anonym und von Erwachsenen-Ambulanzen sowohl zeitlich als auch räumlich vollständig getrennt. Diese totale Anonymität ohne e-card und ohne Terminvereinbarung ist enorm wichtig – einen Großteil der moslemischen Kinder und Jugendlichen würden wir sonst etwa gar nicht erreichen.
Warum beschäftigen Sie sich mit Sexualität und Erkrankungen?
Weil man damit vielen Menschen helfen kann.
Welches sind Ihre Lieblingsthemen?
Jugendgynäkologie und Erkrankungen im Alter. Auch Aufklärung ist mir ein großes Anliegen. Dass heute zum Beispiel 19jährige Burschen Viagra schlucken, weil sie aus Pornos ein völlig falsche Bild vermittelt bekommen und denken, sie müssten den ganzen Tag über mit einer Erektion herumlaufen, ist skandalös. Hier muss man unbedingt versuchen gegenzusteuern, und zwar rechtzeitig!
Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Zufriedene PatientInnen!
Wo sehen Sie nach wie vor große Probleme?
In ehrlicher, ausführlicher Aufklärung. Ich bewege mich in Österreich im Spitzenfeld, was die Korrektur von angeborenen und erworbenen Genitalfehlbildungen anbelangt. Natürlich ist dabei auch vieles im kosmetischen Bereich. Aber was in diesem Sektor Schindluder betrieben wird, ist ein Wahnsinn!
Es beginnt beim Intimpiercing und endet bei der Beschneidung des weiblichen Genitals. Bei uns lebende Mädchen werden in den Schulferien in ihre Heimatländer gebracht und dort unter Zwang beschnitten. Ich versuche schon vorher, mit den Müttern und den Brüdern dieser Mädchen zu reden. Aber es fehlt noch immer an ehrlicher und aufrichtiger Aufklärung von ÄrztInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen, damit es nicht noch einmal mehrere Generationen dauert, bis sich etwas verändert. Aber ein Kassenarzt, eine Kassenärztin hat nur wenige Minuten für eine Patientin, was soll man in dieser Zeit schon bewirken?
Ein anderes Problem ist, dass junge ÄrztInnen gar keine Kassenzulassung mehr bekommen, da die Zahl der KassenärztInnen limitiert ist. Leider kommen somit viele auf die skurrilsten Ideen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie spritzen Botox, konzentrieren sich auf das so moderne Anti Aging. Den PatientInnen wird dabei oft Sand in die Augen gestreut, und Grundwahrheiten werden verschwiegen.
Wie wird sich die Sexualität in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
Da bin ich leider ein wenig pessimistisch: Immer mehr Leistung ohne Liebe und Zuneigung. Diese Strömung halte ich für sehr bedenklich. Er wirft sich Viagra ein und sie lässt sich piercen, damit sie einen Tripple-Orgasmus hat. Wohin soll das führen?
Wo sehen Sie die Sexualmedizin in zehn Jahren?
Als Gegenpol zu dieser Entwicklung sollte die Sexualmedizin wirken. Ich hoffe, dass sich die Sexualmedizin in zehn Jahren darauf konzentriert, dass Sexualität etwas Wunderschönes sein kann, etwas, das das Leben lebenswerter macht.
Vor 30 Jahren habe ich in einer sexualmedizinischen Zeitschrift einen Artikel gelesen, in dem zu lesen stand, wenn der Opa beim Hoppa Hoppa Reiter-Spiel mit seiner Enkelin eine Erektion bekomme und das Mädchen das bemerke, dann sei das völlig in Ordnung, damit das Kind natürlich und normal aufwachsen könne! Heute befinden wir uns wiederum oft im anderen Extrem. Was mir fehlt, ist die Mitte.
Was ist Ihr Lieblingsbuch zum Thema Sexualität?
„Garp und wie er die Welt sah“ von John Irving.
Was ist Ihr privates Lieblingsbuch?
„Und Nietzsche weinte“ von Irvin D. Yalom, einem Psychologen und Psychiater. Ein sensationelles Buch, ich habe es bereits zwei Mal gelesen.
Was tut Werner Grünberger, wenn er nicht arbeitet?
Golf spielen und lesen – für mehr ist nicht Zeit. Beides ergänzt sich wunderbar: wenn es regnet, lese ich, bei schönem Wetter spiele ich Golf. Und ich liebe die Arbeit in meinem Garten. Fünf Monate im Jahr lebe ich in den USA und dort gibt es das Sprichwort: „Gardening is the best anti aging“. Das kann ich voll und ganz unterstreichen.
Was ist Ihre Lieblingsfarbe und warum?
Grün, weil ich die Natur liebe. In meinem Garten in Kalifornien habe ich zahlreiche Kakteen. Wenn ein Kaktus nur einen Tag im Jahr blüht, liegt man die halbe Nacht auf der Lauer, um dieses grandiose Schauspiel nicht zu verpassen. Da schießt etwa aus einem nur 20 cm hohen Kaktus eine doppelt so lange Blüte heraus, die sich im Morgengrauen in leuchtendem Orange, Gelb und Rosa öffnet. Der Blütenstempel sieht übrigens aus wie ein Penis – womit wir wieder bei der Sexualmedizin wären. Dann kommen ein paar Bienen und zu Mittag ist der Zauber bereits wieder vorüber und alles ist verblüht.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Als sexualmedizinischer Dinosaurier!