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Verhinderte Lust

Die Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna berichtet in der „Sprechstunde“ von Fällen aus ihrer täglichen Praxis. Alle persönlichen Angaben der Patienten und Patientinnen wurden geändert, die Geschichten, Probleme und Lösungsfindungen entsprechen jedoch der Realität.

Peter T. mit Orgasmusproblemen sucht psychotherapeutische Hilfe, da die Ärzte bei ihm keine organischen Ursachen finden können. Er ist zwar verzweifelt, gleichzeitig aber auch sehr für eine Therapie motiviert.

Vorgeschichte

Herr T. 32, kommt alleine zu mir in die Praxis, weil ihn sein Problem sehr bedrückt. Er kann sich nicht erklären, warum er seit dem Urlaub keinen Orgasmus mehr bekommen kann. Vorher sei alles in Ordnung gewesen, berichtet er. Er meidet deswegen jetzt jeden Sexualkontakt mit seiner Partnerin, die aber sehr darunter leidet. Da sie von ihm regelmäßigen Sex erwartet, ist er unter den jetzigen Bedingungen sehr gestresst. Er ist mit ihr seit drei Jahren zusammen und liebt sie sehr.

Erste ärztliche Abklärung

Da ihm aufgefallen war, dass er beim Geschlechtsverkehr am Penis viel weniger empfindet als früher und deswegen auch die Erektion nicht immer anhält, war beim Urologen und Neurologen abgeklärt worden, ob seine Penisnerven die Erregung noch gut leiten können. Beide Ärzte fanden keine Anhaltspunkte für eine organische Ursache und so glaubt auch er, dass sein Problem psychisch bedingt ist.

Er sucht verzweifelt nach Erklärungen. „Vielleicht habe ich mich schon zu sehr an meine Freundin gewöhnt, auch an ihren Körper und das reizt mich eventuell nicht mehr so. Vielleicht ist unser Sex auch zu langweilig, weil wir immer das gleiche machen“.

Lösungsversuch

Ich lade die Partnerin zu einem Gespräch dazu. Man erkennt sofort, dass auch sie eigentlich keine Erklärung für sein plötzlich verändertes Sexualverhalten hat. Sie versucht seine Erklärungsmuster zu verstehen und beide wollen positive Strategien zur Überwindung des Problems entwickeln.

Sie beschließen bis zu unserem nächsten Treffen abwechslungsreicheren Sex auszuprobieren. Sie will ihn gleichzeitig nicht mit großen Erwartungen stressen und es ihm auch überlassen, ob er bis zum Orgasmus gehen will. All diese Versuche bringen jedoch nichts.

Medizinische Aufklärung

Bei allen drei Gesprächsterminen fiel mir immer mehr auf, dass sein Körper ihm eigentlich meldete, dass er keine Lust habe und sein Penis weniger empfindet. Allerdings hatte er das den Ärzten vor mir nicht erzählt. Ohne diese Information veranlassten die Ärzte keine Blutuntersuchung, die man zur Abklärung der Lustlosigkeit benötigt. Nachdem die Blutbefunde vorlagen, nahm die ganze Geschichte eine neue Wendung.

Die Spiegel von Testosteron und der Schilddrüsenhormone waren in Ordnung, aber das „Lustlosigkeitshormon“ Prolaktin war massiv erhöht. Bei der anschließend durchgeführten MR-Tomographie des Gehirns fand man einen 12mm großen, gutartigen Tumor der Hirnanhangsdrüse, ein Prolaktinom.

Therapie

Nach einer komplikationsfreien Operation musste der Patient noch Medikamente gegen den noch etwas erhöhten Prolaktinspiegel nehmen.

Überglücklich erzählte mir Herr T., dass er sich schon nach 14 Tagen wieder wie früher gefühlt habe und er seine Partnerin auch wieder genauso begehre wie früher. Es freut ihn sehr, dass die ehrliche Aussprache in der Praxis auch dazu beigetragen hat, dass sie viel offener über ihre sexuellen Bedürfnisse reden und sich jetzt auch beide trauen, ihr sinnliches Repertoire zu erweitern.

Informationen

Jedes veränderte Sexualverhalten gehört IMMER ärztlich abgeklärt!

Leider sind Männer richtige Gesundheitsmuffel, auch wenn es Ihre Sexualität betrifft. Noch immer warten Männer oft jahrelang, bis sie Hilfe beim Arzt suchen. Wertvolle Zeit, denn nicht nur die emotionale und sexuelle Beziehung zur Partnerin leidet sehr darunter. Die zugrunde liegenden Erkrankungen können sich in dieser Zeit verschlechtern und sprechen dann oft schwerer auf eine Therapie an.

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Autor

Dr. Elia Bragagna (Juli 2011)