Reife Liebe braucht Zeit
Die Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna berichtet in der „Sprechstunde“ von Fällen aus ihrer täglichen Praxis. Alle persönlichen Angaben der Patienten und Patientinnen wurden geändert, die Geschichten, Probleme und Lösungsfindungen entsprechen jedoch der Realität.
Eva B. (61) kommt verzweifelt in meine Praxis. Nach 30 jähriger Ehe, die in Scheidung endete, hat sie kürzlich ihren Traummann Ernst geheiratet. Zum ersten Mal in ihrem Leben schien alles perfekt zu sein, sie erlebte ihren ersten Orgasmus. Dann aber traten Schwierigkeiten auf.

Problem
Sie spürte kaum noch Erregung, wurde nicht mehr feucht und zum Orgasmus kam sie plötzlich auch nicht mehr. Ihr Mann war darüber so sehr enttäuscht, dass er immer weniger Lust auf Sex hatte. In der Folge begannen beide Sex zu meiden und wurden sehr unglücklich.
Ein Besuch beim Gynäkologen half nicht weiter. Er erklärte ihr, dass Frauen ihres Alters weniger Hormone hätten und dass es daher natürlich sei, dass sie nicht mehr feucht werde. Zur Abhilfe gab er ihr Hormonzäpfchen für die Scheide mit. Eva wollte diese Erklärung aber nicht annehmen, denn bis vor einigen Wochen war ja noch alles in Ordnung gewesen.

Ärztliche und sexual-therapeutische Abklärung
Es stellte sich heraus, dass sich das Sexualverhalten der beiden vor dem Auftreten des Problems geändert hatte. Zu Beginn der Beziehung hatte Ernst mit ihr stundenlang geschmust, hatte viel Körperkontakt. Vor einigen Wochen aber begann er, sich nur noch auf „das Wesentliche“ zu konzentrieren und war enttäuscht, wenn sie nicht schnell erregt und feucht war. „Du brauchst zu lange“, warf er ihr vor. „ Bis du endlich so weit bist, kann ich nicht mehr.“ Ihre Versuche schneller erregt zu werden bewirkten genau das Gegenteil. Denn Stress aktiviert die Nerven, die eine Erregung der Genitale verhindern.
Dabei hatte Ernst genau die Schlüsselworte gesagt, die das wirkliche Problem aufdeckten. Es stellte sich heraus, dass er in letzter Zeit immer unsicherere Erektionen hatte, der Penis nur kurzfristig hart bleiben konnte, wodurch er stark verunsichert war. Er suchte nach einer Erklärung und fand sie im zu langen Vorspiel. So entschied er eben, schneller „zur Sache zu kommen“. Das aber hatte fatale Folgen für seine Frau, denn typisch für die Sexualität in ihrem Alter ist, dass es für Erregung und Feuchtwerden mehr Zeit braucht als in der Jugend. Es werden weniger Botenstoffe produziert, die Erregung aufbauen und die Genitale und Klitoris durchbluten. Mehr Stimulation ist nötig, um diese mit Blut zu füllen und Gleitflüssigkeit zu produzieren.
Bei Ernst ergab die urologische Abklärung eine Erektionsstörung, bedingt durch einen jahrelang zu hohen Cholesterinspiegel und hohen Zigarettenkonsum. Als Folge waren Teile seiner Blutgefäße im Penis zerstört. Durch „Arterienverkalkung“ veränderte Blutgefäße können nicht genug Botenstoffe bilden, die benötigt werden, um eine harte Erektion zu sichern.

Therapie
Um eine weitere Zerstörung der Penisgefäße zu verhindern, erhielt Ernst Medikamente gegen den zu hohen Cholesterinspiegel, außerdem Mittel zur Raucherentwöhnung und Potenzmedikamente, die dafür sorgten, dass er sich ohne Zeitstress wieder seiner Partnerin zuwenden konnte. Durch die sichere Erektion kann er nun seine Frau wieder angstfrei verwöhnen, die selbst auch wieder genug Zeit und Zuwendung findet, um Sex genießen zu können.

Informationen
Bei 40 % aller Männer über 50 Jahren ist eine „Arterienverkalkung“(Arteriosklerose) für Erektionsstörungen verantwortlich.
Risikofaktoren:
• Rauchen
• Erhöhter Blutdruck
• Erhöhter Cholesterinspiegel
• Übergewicht
• Bewegungsmangel
• Stress
• Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
• erbliche Veranlagung
Vorbeugemaßnahmen gegen Arterienverkalkung und Erektionsstörung:
• Rauchen aufgeben
• Alkoholkonsum reduzieren
• regelmäßig bewegen
• abwechslungs-, ballaststoffreiche, fettarme Ernährung
• Übergewicht abbauen
• regelmäßig Blutdruck und Blutfettwerte kontrollieren

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