Um keinen weiblichen Körperteil ranken sich derart viele Mythen und Unsicherheiten wie über die Vulva. Das beginnt schon mit der Begrifflichkeit: Jahrhunderte lang als „Vagina“ bezeichnet, beschreibt der Begriff „Vulva“ in einem wesentlich umfassenderen Sinne das äußere Genitale der Frau, umfasst er doch die äußeren und inneren Schamlippen, die Klitoris und den Scheideneingang.
Die „Vagina“ dagegen ist eigentlich nur der Bereich von Scheideneingang bis Muttermund. Übersetzt heißt der Begriff tatsächlich „Scheide“ und stammt aus einer Zeit als Anatomen (Frauen gab es in diesem Beruf damals noch nicht) jedem Körperteil und jedem Organ einen möglichst beschreibenden Namen gaben.
Was nicht passt wird passend gemacht - das gilt auch für die Vulva. Aber eine Vulva kann nicht hässlich sein!
Da Worte einen wesentlichen Einfluss auf die Sicht der Gesellschaft auf bestimmte Themen haben, sollte also - im Sinne von Vollständigkeit - eher von Vulva gesprochen werden, wenn das äußere weibliche Genitale gemeint ist.
Zielobjekt der Schönheitschirurgie
Und eben diese Vulva wird immer mehr zum Zielobjekt der plastischen Chirurgie. Die „Designer-Vagina“ ist ein Trend, der - wie sollte auch anders sein - aus den USA kommt und mittlerweile auch in Europa ein häufiger plastisch-chirurgischer Eingriff ist. Genaue Zahlen existieren leider nicht, ExpertInnen geben allerdings an, dass die Zahl intimchirurgischer Eingriffe ebenso zunimmt, wie anderer „Schönheitsoperationen“.
Immer mehr Frauen finden ihre Vulva hässlich. Das geht so weit, dass sie zum plastischen Chirurgen/zur plastischen Chirurgin wandern, um sich die Schamlippen kürzen, die Klitoris versetzen oder den Vaginaleingang straffen zu lassen. Andere lassen sich ihr Hymen („Jungfernhäutchen“) wieder zunähen, um „unberührt“ in die Ehe zu gehen.
Und da derartige Eingriffe in Österreich nicht von einem ausgebildeten plastischen Chirurgen/einer ausgebildeten plastischen Chirurgin durchgeführt werden müssen, begeben sich die betroffenen Frauen in eine extrem unsichere Situation. Es reicht nämlich für einen Arzt/eine Ärztin eine Fortbildung zum Thema „Intimchirurgie“ zu absolvieren, schon kann flugs ein neuer Geschäftszweig etabliert werden - mit teils unabsehbaren Folgen für die Frauen, die sich einem solchen Eingriff unterziehen wollen.
Denn, wie sich auch in der Medizin immer mehr herumspricht, das äußere weibliche Genitale ist von einer Vielzahl von Nerven und Blutgefäßen durchzogen. Werden diese bei einem unsachgemäßen Eingriff verletzt, kann dies nicht nur zu hässlichen Narben, Schmerzen und weiteren Eingriffen, sondern zum Verlust des Lustgefühls führen.
Dem Kindchenschema entsprechend
Nun stellt sich die Frage, warum Frauen überhaupt auf die Idee kommen, ihre Vulva chirurgisch verändern lassen zu wollen? Die Gründe sind vielfältig, einer lässt sich sicherlich am aktuellen Schönheitsideal fest machen: Frauen, die schön sind, sind dünn bis an die Grenze der Magersucht, sie haben große Augen und einen Schmollmund und natürlich sollen sie auch eine möglichst mädchenhafte Vulva haben.
Was hier propagiert wird, ist eine extreme Pervertierung des sogenannten Kindchenschemas. Der Körper der Frau wird dabei einem praktisch unerreichbaren Schönheitsideal als Opfer dargebracht. Die Folgen sind bekannt: Magersucht, „Schönheits“-Operationen und schließlich - und bestimmt nicht zuletzt - plastisch-chirurgische Eingriffe an der Vulva.
Intimrasur fördert falsches Bild
Auch die Behaarung der Vulva spielt bei dem Thema eine wesentliche Rolle. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die sogenannte „Intimrasur“ ebenso durchgesetzt, wie das Enthaaren der Beine und der Achselhöhlen. Und wenn die Vulva haarlos ist, wird sie sichtbar. Was sich hier nach einem platten Gemeinplatz anhört ist keiner. Eine behaarte Vulva ist bei weitem nicht so sichtbar, wie eine unbehaarte. Wenn die Haare verschwinden, kommt jede anatomische Besonderheit der Vulva zum Vorschein, was per se nun wirklich nichts Schlechtes ist.
ABER: Zum einen erfüllt die Behaarung der Vulva einen wichtigen Zweck als Barriere- und Schutzfunktion für die empfindliche Schleimhaut des äußeren weiblichen Genitale. Zum anderen scheint es tatsächlich so zu sein, dass das Sichtbar werden der Vulva häufig dazu führt, dass Frauen ihre Vulva als hässlich empfinden - und diesen Missstand operativ beheben lassen wollen.
Der "Designer-Vagina" den Kampf ansagen
Vulvae können allerdings rein prinzipiell nicht hässlich sein - denn wer wollte ein Schönheitsideal für diese Körperregion aufstellen (abgesehen natürlich jene, die damit ein Geschäft machen wollen)? Tatsache ist, Vulvae sind ungeheuer vielfältig, die Bandbreie der unterschiedlichen Formen ist unendlich groß - und jede ist schön.
Seit Jahren wird in der westlichen Gesellschaft über Genitalverstümmelung gewettert, werden Kampagnen zur Ausrottung dieser grausigen Praxis, bei der Mädchen die Schamlippen abgeschnitten, die Klitoris amputiert und der Scheideneingang zugenäht wird, durchgeführt. Das ist gut und richtig so. Die Praxis der Genitalverstümmelung ist absolut zu verurteilen, falsch und ein Verbrechen.
ABER: Wenn westliche Frauen - in der irrigen Annahme, ihre Vulva sei hässlich - zum Schönheitschirurgen/zur Schönheitschirurgin pilgern, um sich die Schamlippen kürzen, die Klitoris versetzen oder den Vaginaleingang straffen zu lassen - ist das nicht ebenso eine Verstümmelung? Denn auch ein solcher Eingriff kann, wie bereits beschrieben, zu einer extremen Störung des Lustempfindens führen.
Eine Vulva kann nicht hässlich sein. Eine Vulva kann nicht hässlich sein. Eine Vulva kann nicht hässlich sein. Diesen Satz kann man gar nicht oft genug wiederholen. Ein schönes Beispiel für die Vielfalt der Vulva zeigt Grit Scholz' Buch „Das Tor ins Leben“, das wir unter den Buchempfehlungen vorstellen. Vielmehr ist sie Ausdruck der Weiblichkeit, unterschiedlich, schön und ein wesentlicher Bestandteil des Frau seins. Ein Körperteil, den jede Frau annehmen sollte - damit die „Designer-Vagina“ bald der Vergangenheit angehört.