Reden! Reden! Reden!
Im Interview spricht SexMedPedia-Gründerin Dr. Elia Bragagna über sexuelle Wünsche, sexuelle Phantasien, wann, was und wie umgesetzt werden kann und soll und warum PartnerInnen nicht erraten können, was der/die andere von ihm/ihr beim Sex gerne haben möchte.
Welchen Stellenwert haben sexuelle Phantasien für eine gut gelebte Sexualität?
Bragagna: Das lässt sich sicherlich nicht verallgemeinern und hängt von jedem/jeder Einzelnen ab. Sexuelle Phantasien können aber einen wichtigen Beitrag zu einem erfüllten, ganzheitlichen Sexualleben leisten, egal ob der/die Betreffende sein „Kopfkino“ bei der Selbstbefriedigung oder auch beim Sex mit dem Partner/der Partnerin „einschaltet“.
Ist das nicht Betrug, wenn sich etwa eine Frau einen anderen Mann vorstellt, während sie mit ihrem Partner Sex hat?
Bragagna: Nein. Manche Menschen brauchen das „Kopfkino“, um ihre Erregung zu verstärken. Und auch wenn es etwa ein bekannter Filmschauspieler ist, der da imaginiert wird - die betroffene Frau hält ja doch ihren Partner im Arm und ist mit ihm in Lust und Zärtlichkeit verbunden. Allerdings würde ich sagen, wenn es den PartnerInnen nur noch mit Hilfe sexueller Phantasien, in denen andere Männer/Frauen imaginiert werden, gelingt, ihre partnerschaftliche Sexualität erfüllt auszuleben, sollte sich die Person in der Partnerschaft, die phantasiert überlegen, ob dieses Thema nicht einmal in der Beziehung angesprochen werden soll.
Stichwort: Sexuelle Wünsche - wie können solche Wünsche mitgeteilt werden?
Bragagna: Sie können nicht nur, sie sollten mitgeteilt werden - niemand von uns kann schließlich hellsehen. Und man wird auch nicht als perfekte Liebhaberin oder perfekter Liebhaber geboren. Sexualität ist ein Lernprozess. Und lernen kann man nur, wenn man weiß, was der/die Geliebte von einem möchte. Deshalb ist reden, reden und nochmals reden bei diesem Thema extrem wichtig. Für viele Menschen ist es allerdings auch sehr schwierig, ihre sexuellen Wünsche mitzuteilen. Im Durex-Survey 2007/2008 gaben aber immerhin 53 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männern an, mit ihren PartnerInnen über ihre sexuellen Wünsche sprechen zu können.
Wo liegen die Probleme in der Kommunikation über sexuelle Wünsche?
Bragagna: Wir haben keine Sprache für unsere Sexualität. Zudem ist Sex - aller medialen Offenheit zum Trotz - für viele immer noch ein Tabuthema. Sinn macht es trotzdem, einander sexuelle Wünsche zu gestehen. Und das kann auf verschiedene Arten erfolgen: Bei einem Gespräch während eines Spaziergangs, mit Hilfe von Briefen, die man einander schreibt oder auch mit Geschichten, die beide PartnerInnen gemeinsam lesen. Es ist erstaunlich, wie rasch eine solche Kommunikation möglich wird, wenn beide PartnerInnen sich trauen, über ihren eigenen Schatten zu springen.
Was sind denn die häufigsten sexuellen Wünsche?
Bragagna: Sehr viele Menschen träumen von Sex an unterschiedlichen Orten, es kann aber auch sein, dass sich die Paare wünschen, von ihrem Partner/ihrer Partnerin mal wieder überrascht zu werden. Frauen wünschen sich von ihren Partnern sinnlich umworben zu werden. Und Männer träumen von Oral-, manchmal auch von Analverkehr und natürlich von hemmungslosem Sex. Auch Rollenspiele werden phantasiert. Wichtig ist: Teilen Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin diese Wünsche mit - und seien Sie nicht enttäuscht, wenn er/sie Ihre Wünsche ablehnt. Nicht immer entsprechen einander sexuelle Wünsche vollständig - und das müssen die PartnerInnen akzeptieren - denn nur wenn sich beide vorstellen können, bestimmte Wünsche in die Tat umzusetzen, sind der Erfüllung keine Grenzen gesetzt.
Wo liegen die Grenzen für sexuelle Wünsche und Phantasien?
Bragagna: Prinzipiell kann natürlich jeder sexuelle Wunsch angesprochen werden. Aber man sollte schon auch Rücksicht auf seine Partnerin/seinen Partner nehmen und seinen Partner/seine Partnerin gut einschätzen können. Heterosexuelle Menschen träumen beispielsweise von Sex mit gleichgeschlechtlichen PartnerInnen oder mit mehreren Menschen. Es ist fraglich, ob es Sinn macht, jede Phantasie in die Tat umsetzen zu wollen. Denken Sie an das Thema „Swingerclubs“ - wenn da nicht beide PartnerInnen voll dahinter stehen, kann es zu heftigen seelischen Verletzungen kommen. Und schließlich sollte manches vielleicht der Phantasie überlassen bleiben - denn letztlich lebt eine erfüllte Sexualität ja auch von spannenden Geheimnissen.