»Warum versuchst du eigentlich, den Menschen immer mehr Wissen über Sexualität beizubringen?«, fragen mich viele KollegInnen. Sie meinen, es genüge, dem eigenen Körper und den eigenen Bedürfnissen zu trauen, dann wäre Sexualität doch ohnehin befriedigend.
Theoretisch ja, praktisch glaube ich es nicht (mehr). Zu oft habe ich erlebt, dass Menschen zwar genau spüren, dass die Art, wie sie ihre Sexualität und Partnerschaft leben, ihnen nicht guttut, dennoch verharren sie lieber in den bekannten, vertrauten Mustern.
Sie bleiben darin, weil sie mit niemandem offen über Sexualität reden können. Stattdessen orientieren sie sich an Rollenbildern und Klischees, die vorzeigen, wie Beziehungen und Sex zu sein hätten. Sie ändern nichts, weil sie nicht wissen, dass das unangenehme Gefühl, das sie fühlen, richtig ist und sie diesem trauen können. Weil sie nicht verstehen, warum sie so fühlen, wie sie fühlen, warum sie so leiden, wie sie leiden. Sie bleiben passiv, weil sie keine anderen Lösungsmodelle kennen und Angst haben, dass eine Veränderung die Trennung vom geliebten Partner bedeuten könnte.
Wissen hilft
Sie leben mit ihrem »idealen Lösungsmodell«, das geprägt ist von sowohl guten als auch schlechten Erfahrungen, die sie im Lauf ihres Lebens gemacht haben. Wissen hilft, sich seiner Empfindungen bewusst zu werden, das Empfundene zu hinterfragen. Es hilft, zu erkennen, dass und wie falsche Kompromisse krank machen, und es eröffnet neue Wege zu stimmigen und jeweils aktuell passenden Lösungen. Diese werden auch nicht für immer gelten.
Leben heißt, sich ständig neuen Veränderungen anpassen zu müssen, und das ist auch gut so, denn alles andere würde ja Stillstand bedeuten. Doch dazu brauchen wir Vertrauen in uns selbst.
Beispiel
Eine 36-jährige Bankangestellte kommt zu mir, weil sie Erregungsprobleme hat. Sie ist mit einem sehr erfolgreichen Geschäftsmann verheiratet, sie haben gemeinsam eine 7-jährige Tochter. Ihr Mann findet sie im Bett langweilig, er wünscht sie sich leidenschaftlicher, fantasievoller und sexuell schneller erregbar. Sie hat Angst, ihn zu verlieren.
Schon beim ersten gemeinsamen Gespräch mit dem Paar fällt auf, dass die beiden nicht in emotionalem Kontakt miteinander stehen. Der Mann beschreibt die sexuellen Fähigkeiten seiner Partnerin in einer sehr demütigenden Sprache. Für ihn ist klar: Er ist okay, sie muss sich ändern.
Er ist wenig daheim, und wenn er kommt, ist es meist so spät, dass die Frau schon im Bett liegt, weil sie die Tochter jeden Tag sehr früh in die Schule bringt. Üblicherweise schaut er noch seine E-Mails an und weckt sie dann auf, weil er mit ihr schlafen will. Seine Partnerin ist erschöpft, wenn er sie weckt, und ihr ist gar nicht nach Sex. Weil sie ihn nicht enttäuschen will, gibt sie nach und ärgert sich dabei über sich selbst, weil sie nicht erregt ist.
»Ich glaube, mein Partner hat recht. Ich bin frigide«, meint sie. Sie fühlt sich sehr beschämt, wenn er dann von ihr enttäuscht ist. Mit keinem Wort geht es dabei um ihre Bedürfnisse oder ihr Erleben von Sinnlichkeit. Sie reagiert nicht auf seine Demütigungen und seine Missachtungen.
Sie kennt es nicht anders: »Seit ich auf der Welt bin, ist es immer so gewesen.«
- Ihre Eltern haben bis aufs Blut vor ihr gestritten,
- ihre Gefühle, Ängste und Bedürfnisse zählten nicht und so suchte sie nach einer aushaltbaren Art zu leben.
- Sie nahm die Worte anderer Menschen nicht ernst und stellte auch keine Kontakte zu ihnen her,
- sondern baute eine emotionale Schutzmauer zwischen sich und ihrer Umwelt. So war sie zwar geschützt, aber gleichzeitig auch isoliert.
Über Gefühle konnte sie vorerst keine Lösung für ihr Problem finden, denn ihr Kopf deutete alles Erlebte so um, dass ihr Gefühl sich den Erklärungen unterwarf und sie dabei kühl und distanziert blieb. Zu Lösungen gelangte sie über das Wissen, wie ihre Psyche und ihr Körper funktionieren, zusammenspielen und ihre Sinnlichkeit entstehen lassen oder verhindern.
Wir begannen zusammen - ohne Partner, ihm war das »zu öd« - die Störfaktoren zu suchen und zu beheben. Sie wollte spüren, dass es ihrem Partner um sie ging, nicht um irgendein Sexualobjekt, an dem er seine Spannungen abreagieren konnte. Dazu musste er aber früher nach Hause kommen oder jemand anderer musste am nächsten Tag das Kind in die Schule bringen.
Sie brauchte Kontaktaufnahme, bevor sie Sex mit ihm haben konnte, zumindest ein Gespräch oder Umarmungen. Seine Sado-Maso-Spiele, die er so gerne hatte, erregten sie nicht, weil sie ihr zu unpersönlich waren. Sie brauchte
- mehr Berührungen,
- mehr Zärtlichkeitsaustausch und
- mehr positive Anerkennung.
Sie begann, seine Demütigungen als solche zu benennen und zu stoppen, ihre Kindheitsmuster aufzulösen und dadurch ihr Gegenüber ernst zu nehmen. Es war für sie nicht immer leicht, aber so konnte sie beginnen, ihr Leben für sich selbst passend zu gestalten. Sie konnte ihrem Körper die Berührungen und ihrer Seele die Zärtlichkeiten ermöglichen, die ihr Kindheitsmuster bisher immer verhindert hatten. Dadurch konnte sie zu ihrer Erregung und schließlich zu einer stimmigen
Sexualität finden.
Werkzeug zur Lösungsfindung
Die Frau im Beispiel nahm sexualtherapeutische Begleitung in Anspruch, ohne die sie wohl kaum aus ihren alten Mustern herausgekommen wäre und die ihr schließlich half, neue Lösungsvarianten zu finden. Wir sollten also nicht unnötig viel Zeit verschwenden, um mit möglicherweise unpassendem »Werkzeug« eine Lösung zu finden, sondern rechtzeitig professionelle Hilfe suchen.
Wann Hilfe?
Meiner Meinung nach sollte man es sich nicht allzu schwer machen und sich schon aus Selbst- undNächstenliebe möglichst dann, wenn man merkt, dass man mit den eigenen Lösungsansätzen nicht weiterkommt, Hilfe von außen holen. Das erspart viel emotionales Leid und verhindert gröbere zwischenmenschliche Verletzungen.
Spätestens jedoch, wenn die sexuellen Probleme über Monate andauern, keiner der Lösungsversuche eine positive Veränderung bringt und das Paar merkt, wie es emotional immer weiter auseinanderdriftet und darunter leidet, ist therapeutische Hilfe notwendig.
Wenn man ohne fixe Beziehung lebt, sollte man sich Hilfe von außen holen, sobald der Gedanke an eine neue sexuelle Annäherung unangenehm und belastend ist.
Welche Hilfe?
Wir sollten bei der Lösungssuche immer im Auge behalten, dass die Ursache des Problems sowohl körperlicher als auch psycho-sozialer Natur sein kann. Als Ärztin denke ich, am besten ist, wenn sexuelle Probleme zuerst organisch abgeklärt werden. Oft habe ich erlebt, dass sich Frauen über lange Zeit psychotherapeutische Begleitung holten, hinter dem sexuellen Problem jedoch eine
organische Ursache lag. Kein Wunder, wenn die gewählte Methode dann nicht zielführend war. Sie hätte für die Patientinnen auch schlimm enden können und war auf jeden Fall sehr teuer.
Ärztliche AnsprechpartnerInnen
Bei sexualrelevanten Erkrankungen
Wer an einer sexualrelevanten Erkrankung leidet (siehe »Körperliche Ursachen von Sexualstörungen bei der Frau«) und deshalb kontrasexuelle Medikamente erhält, ist bei den behandelnden ÄrztInnen am besten aufgehoben. Diese kennen den Verlauf der Grunderkrankung ihrer Patientin, haben Informationen über ihren Allgemeinzustand, ihr psycho-soziales Wohlbefinden und können daher höchstwahrscheinlich eine entsprechende Therapie anbieten.
Bei sexualrelevanten Operationen oder Verletzungen
Genauso verhält es sich, wenn jemand eine sexualrelevante Operation oder Verletzung oder eine einschneidende Therapie (z. B. Chemotherapie, Bestrahlungen) hinter sich hat.
Bei bisher Gesunden
Wer bisher vollkommen gesund war, ist sicher bei GynäkologInnen gut aufgehoben oder findet bei HausärztInnen eine erste Anlaufstelle. Diese können dann zusammen nach organischer Abklärung mit der Patientin einen Therapieplan erstellen.
Allein oder zu zweit?
Das ist individuell zu entscheiden. Nehmen wir an, Sie möchten oder müssten sich wegen eines sexuellen Problems Hilfe holen:
- Fühlen Sie sich wohler mit der Vorstellung, den Schritt allein zu tun?
- Oder lieber gemeinsam mit Ihrem Partner?
Es gibt hier weder richtig noch falsch, sondern nur das, was Ihnen stimmiger und passender erscheint. Entscheiden Sie sich für die Variante, die Sie in einem Erstgespräch offener sein lässt. Die behandelnden ÄrztInnen oder TherapeutInnen werden dann sowieso, wenn es nötig sein sollte, den Partner hinzubitten.
Wie läuft das ab?
Bleiben wir bei der Annahme, Sie würden sich Hilfe holen wollen und überlegen, was Sie dabei alles erleben würden. Beginnen wir der Reihenfolge wegen wieder mit den ärztlichen, körperbezogenen Therapien.
- Die ÄrztInnen würden sich zuerst Ihr Problem schildern lassen. Dabei versuchen sie, alle körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren abzufragen, die ein sexuelles Problem auslösen könnten.
- Nachdem alle nötigen körperlichen Untersuchungen abgeschlossen und eventuell sogar Blut- oder Gewebeproben entnommen worden sind, werden die ÄrztInnen Ihnen in einem Gespräch zunächst alle Störfaktoren aufzählen, die sich möglicherweise negativ auf die Sexualität auswirken.
- Sie würden gefragt, welchen Therapiewunsch Sie haben, denn es geht ja um Ihr Sexualleben, das Sie verändern wollen.
- Die ÄrztInnen würden Ihnen erklären, wie verbreitet Ihr Sexualproblem ist, welche Ursachen am häufigsten dahinterstecken und wie diese die Sexualität beeinflussen können.
- Falls Sie an einer sexualrelevanten Erkrankung leiden, würden die ÄrztInnen darauf achten, dass diese optimal behandelt wird, und überprüfen, ob kontrasexuelle Medikamente umgestellt oder in der Dosis verringert werden können.
- Je nach Erkrankung können Sie möglicherweise selbst zu Ihrer Gesundung beitragen, indem Sie versuchen, Stress abzubauen, darauf achten, mehr Bewegung zu bekommen, bei Übergewicht versuchen, Ihr Gewicht zu reduzieren oder auch das Rauchen zu vermindern oder ganz damit aufzuhören.
Sexualstörungen können - abgesehen von schulmedizinischen Methoden - auch durch andere ärztliche Therapiemethoden behoben werden. Ich werde aber ausschließlich Therapien nennen, deren Wirksamkeit durch wissenschaftliche Studien bekannt und hinreichend belegt ist.
Achtung!
Jede Frau wählt ihren persönlichen Weg zur Heilung, und dem sollte sie auch folgen. Ich möchte dennoch vor teuren Selbsttherapieversuchen mit übers Internet bestellten und gekauften Substanzen warnen, nicht nur, weil diese sehr teuer sind, sondern auch, weil nachgewiesen wurde, dass etliche dieser Produkte gesundheitsschädlich sein können. Seien Sie also nett zu sich selbst und lassen Sie sich lieber professionell beraten und begleiten.
Medizinische Hilfsmittel
Gleitmittel
Diese werden vor allem verwendet, wenn die Frau trotz ausreichender Stimulation keinen vaginalen Feuchtigkeitsfilm bilden kann. Es gibt sie auf
- Wasser-,
- Silikon-,
- Öl- oder
- Fettbasis.
Vorsicht:
- Öl- und fetthaltige Gleitgele lassen Kondome aus Latex porös werden, sie reißen dadurch leichter!
- Die Produkte auf Silikonbasis wirken länger, kleben weniger und greifen die Kondome nicht an. Allerdings verträgt Silikon sich nicht mit jedem Sextoy-Material.
Lassen Sie sich beim Einkauf beraten. Manche Frauen lieben Gleitgele, die ihre Vulva erwärmen, denn dadurch werden die genitalen Blutgefäße besser durchblutet und tragen dazu bei, dass sich die Erregung schneller aufbaut.
Vaginale Befeuchter (Moisturizer)
Dieses Vaginalgel eignet sich vor allem für Frauen, die aufgrund östrogensensibler Tumore keine östrogenhaltige, lokale, vaginale Therapie verwenden dürfen und dadurch unter einer trockenen Scheide mit den entsprechenden negativen Konsequenzen leiden. Dieses Gel wird zwei bis drei Mal pro Woche auf die Vaginalschleimhaut aufgetragen. Dadurch bildet sich ein feuchtigkeitsspendender Vaginalfilm, der die Gleitfähigkeit erhöht.
Hyaluron-Vaginalzäpfchen
Diese eignen sich sehr gut in der Übergangsphase des Wechsels, wenn die vaginale Trockenheit noch nicht zu massiv, aber schon spürbar ist. Die in den Zäpfchen vorhandene Hyaluronsäure und Pflanzenextrakte verbessern den Feuchtigkeitsgehalt und die Elastizität der Vaginalschleimhaut und unterstützen deren Regeneration.
Klitoris Vakuum-Vibrationsgerät
Für Frauen mit Erregungs- und/oder Orgasmusstörungen wurde ein sehr handliches Gerät entwickelt (EROS-CTD®), das zu einer
- deutlich verbesserten Durchblutung der Genitalien,
- zur vaginalen Feuchtigkeitsproduktion,
- zur Orgasmusfähigkeit und
- zu einem leichteren Erregungsaufbau führt.
Das Gerät wurde von der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA zur Behandlung von Erregungsstörungen zugelassen. Es wird dazu auf die Klitoris aufgesetzt und erzeugt - neben regulierbaren Vibrationen - eine leichte Sogwirkung auf die Klitoris und deren Umgebung.
Vaginale Dilatatoren (Vagina-Erweiterer, Vaginaltrainer)
Diese werden nach Operationen im Genitalbereich, die zu einer Verengung der Scheide führen können, zum Weithalten des Vaginalraumes therapeutisch genutzt. Im Rahmen der Sexualtherapie des <span class="glossary" title="Scheidenkrampf. Schmerzhafte Verkrampfung des äußeren Drittels der Scheidenwandmuskeln und der Beckenbodenmuskulatur, wenn etwas (Finger, Tampon, Penis) in dieselbe eingeführt werden soll.
">Vaginismus, aber auch des schmerzhaften Geschlechtsverkehrs werden diese Vaginaltrainer verwendet, um die Patientin sanft an das Einführen des Penis in die Scheide zu gewöhnen.
Dadurch baut man die reflexartige Verkrampfung des Beckenbodens ab. Man verwendet zu Beginn einen Dilatator mit ganz geringem Durchmesser und führt diesen so weit in die Scheide ein, wie es angenehm ist. Anschließend belässt man ihn dort eine Weile. Dem Gehirn wird dabei das Signal vermittelt, dass nichts Bedrohliches passiert.
Nach und nach verwendet man Dilatatoren mit immer größerem Durchmesser bis zu einer Größe, die der Penisgröße des Partners entspricht. Entsteht nun wieder der Wunsch, mit dem Partner zu schlafen, bleibt der Beckenboden entspannt.
Es gibt diese Vaginaltrainer aus Plastik, Glas oder Metall. Jedes Material hat Vor- und Nachteile und diese sollten mit dem Arzt/der Ärztin besprochen werden.
Physiotherapie
Der Beckenboden symbolisiert zu Recht in vielen Kulturen den Sitz der Mitte, die Kraft und Lebendigkeit. Ein gutes, sinnliches Körpergefühl ohne einen gesunden Beckenboden ist nicht denkbar. Dazu beeinflussen diese Muskeln zu viele alltägliche Funktionen unseres Körpers, angefangen vom aufrechten Gang über Sexualität, Stuhl- und Harnkontinenz, bis zu Schwangerschaft und Geburt.
Sinnlichkeit heißt, mit seinem Körper in Kontakt zu sein. Physiotherapie hilft dabei, den Beckenboden wieder bewusst wahrzunehmen, ihn anzuspannen und zu entspannen, ihn zu stärken und die Zusammenhänge mit der Bauchdecke, dem Rücken und den Hüften zu erfühlen.
Vielen fällt es schwer zu spüren, wie angespannt oder entspannt die Beckenbodenmuskulatur ist. Mit Hilfe eines Biofeedbackgerätes kann man den IST-Zustand der Beckenbodenspannung auf einem Bildschirm sehen und dabei die Trainingsfortschritte verfolgen.
Häufig ist das Beckenbodentraining ein Bestandteil des therapeutischen Programms zur Behandlung von schmerzhaftem Geschlechtsverkehr, <span class="glossary" title="Scheidenkrampf. Schmerzhafte Verkrampfung des äußeren Drittels der Scheidenwandmuskeln und der Beckenbodenmuskulatur, wenn etwas (Finger, Tampon, Penis) in dieselbe eingeführt werden soll.
">Vaginismus und Orgasmus- oder Erregungsproblemen.
Medikamentöse Therapie
Ich nenne hier keine Dosierungen, denn diese müssen mit den jeweils behandelnden ÄrztInnen abgesprochen werden.
Nicht-hormonelle Therapie
Traurig aber wahr: Zurzeit gibt es, außer dem Testosteronpflaster, noch keine offiziell zugelassenen sexualmedizinischen Medikamente für Frauen. Doch liegen von weltweit auf dem Gebiet der Sexualmedizin arbeitenden ForscherInnen Daten vor, die zeigen, dass unter bestimmten Rahmenbedingungen unten beschriebene Medikamente mit gutem Erfolg zur Therapie weiblicher Sexualstörungen einsetzbar sind. Die behandelnden ÄrztInnen können dann das Recht nutzen, Medikamente, die zwar offiziell für eine andere Erkrankung zugelassen sind, für eine sexuelle Erkrankung zu verschreiben, wenn es zum Wohle der Patientin ist. Man nennt diese Therapieform »Off-Label-Therapie«.
Potenzmittel für die Frau?
Potenzmedikamente - wie Viagra®, Cialis®, Levitra®/Vivanza® - führen beim Mann dazu, dass seine Penisschwellkörper sich prall mit Blut füllen können und dadurch der Penis steif wird. Der gleiche Mechanismus führt bei der Frau dazu, dass sich ihre Klitorisschenkel und Schwellkörper mit Blut füllen, sich die Erregung aufbaut und in der Folge die Vagina feucht wird.
Es gibt also doch Medikamente gegen die Erregungsstörung der Frau? Schön wär’s, scheitert aber an einem Punkt. Bei vielen Frauen sind die Genitalien zwar prall mit Blut gefüllt, sie fühlen diese genitale Erregung aber nicht. Was würde passieren, wenn diese Frauen jetzt die genannten Medikamente gegen Erregungsstörungen bekämen? Nichts! Denn ihr Problem liegt ja darin, dass sie diese Veränderungen nicht wahrnehmen können.
Andererseits können sich viele Frauen in meiner Praxis noch gut daran erinnern, wie sich die Genitalien bei Erregung anfühlten und wie sehr sie diese Körperempfindung genossen. Bei diesen Frauen ist es möglich, dass aufgrund verschiedenster Erkrankungen (siehe »Körperliche Ursachen von Sexualstörungen bei der Frau«) die Genitalien schlecht durchblutet sind. Die Frauen verzweifeln, weil ihr Körper von sich aus nicht mehr fähig ist, diese sinnlichen Körpersensationen in den Genitalien zu erzeugen. Sie können auf folgende Medikamente gut ansprechen:
- Potenzmedikamente vom Typ PDE5-Hemmer
Diese entsprechen den oben genannten Medikamenten. Sie wirken direkt in den Klitorisschenkeln und Schwellkörpern, indem sie dort die Blutgefäße weitstellen, worauf sich diese prall mit Blut füllen und Erregung aufbauen.
- Apomorphin
Wirkt im Gehirn an Dopamin-Rezeptoren in sexualitätsfördernden Arealen. Die Rezeptoren aktivieren die Entspannungsnerven, die dann in den Klitoris- und Vaginalgefäßen zu einer Durchblutungssteigerung führen und so zum Erregungsaufbau beitragen.
- L- Arginin
Ist eine Aminosäure und damit ein wichtiger Baustein der Proteine, kommt in allen lebenden Organismen vor. L-Arginin ist der Ausgangsstoff für die Herstellung des Botenstoffes NO, von dem wir wissen, dass er für die genitale Durchblutung von enormer Bedeutung ist.
Hormonelle Therapie
Hormontherapien bieten seit längerer Zeit Anlass für heftige Diskussionen. Sicherlich ist Skepsis nicht unangebracht, doch möchte ich auch vehement davor warnen, die Einnahme von Hormonen generell zu verteufeln und Betroffene dadurch zu ängstigen. Sinnvoll ist selbstverständlich in jedem Falle vor Beginn einer Hormontherapie die eingehende Beratung und Untersuchung durch eine/n HormonspezialistIn inklusive Abwägung aller Risiken.
Östrogen lokal
Die Lokaltherapie in Zäpfchen-, Tabletten- oder Salbenform eignet sich hervorragend, um die vaginale Trockenheit, den Abbau der Scheidenschleimhaut und die in der Folge auftretenden Schmerzen beim Geschlechtsverkehr zu beheben. Erregungsstörungen werden ebenfalls vermindert.
Um zu Beginn der Therapie das Säuremilieu der Vagina schneller wieder aufzubauen, kann man die Hormontherapie mit intravaginalen Döderlein-Präparaten unterstützen. Hormone können auch in Form von Tabletten, Pflastern oder Gelen angewandt werden und wirken dann im gesamten Körper (systemisch).
Zu ihrer Bedeutung für Sexualität und Wohlbefinden lesen Sie bitte: »weibliche Hormone«
Die Wichtigkeit der Östrogene für den Erregungsaufbau wurde in zahlreichen Studien belegt, ebenso die Wirkung von Testosteron in Bezug auf das sexuelle Begehren. Bei DHEA sind die Aussagen noch zu widersprüchlich, als dass eine konkrete Empfehlung ausgesprochen werden könnte.
Operative Eingriffe
Zur Behandlung von Sexualstörungen sind diese in seltenen Fällen angebracht. Die Empfehlung zu einem Eingriff sollte unbedingt von sexualmedizinisch erfahrenen ÄrztInnen ausgesprochen werden.
Psychosoziale Hilfe
Möglicherweise finden ÄrztInnen keine organischen Anhaltspunkte für Ihr Sexualproblem, sehr wohl jedoch belastende psychosoziale Faktoren, die Ihre Sexualität stören. Sie werden Ihnen dann raten, sich psycho- oder sexualtherapeutische Hilfe zu holen.
Für die meisten Frauen mit Sexualproblemen ist das aber ganz unvorstellbar. »Ich bin doch nicht psychisch krank«, ist meist das Argument, mit dem sie diese Hilfe ablehnen. Ich denke, dass es Zeit wird, von dieser altmodischen Haltung Abschied zu nehmen.
Alle in unserem Gehirn abgespeicherten Erfahrungen und Erinnerungen beeinflussen die Zusammensetzung der Botenstoffe in unserem Gehirn. Diese erzeugen in bestimmten Situationen der Gegenwart ein Gefühl des Wohlbehagens, der Sinnlichkeit und der Geborgenheit oder aber der Anspannung, Angst, des Unbehagens und den Wunsch, diese Situation zu meiden.
Je nachdem, welches System durch die Emotionen aktiviert wird (Anspannung oder Entspannung), wirkt sich das förderlich oder behindernd auf unsere Sexualität aus. Unsere Aufgabe als Erwachsene ist es, die störenden Muster, die auf unsere Kindheit zurückgehen, infrage zu stellen und durch neue, passende zu ersetzen. Wenn dies so leicht wäre, hätten wir keine Schwierigkeiten, weder in Beziehungen noch beim Sex.
Unter »Psycho-sozio-kulturelle Ursachen von Sexualstörungen bei der Frau« ist nachzulesen, wie unsere Psyche versucht, diese alten Gefühle mit allen Mitteln zu vermeiden und so lange wie möglich auf unsere alten Lösungsmuster zurückzugreifen. Dem Körper aber gelingt es so nicht, Probleme zu bewältigen, denn er gehorcht neurobiologischen Gesetzen. Angst bewirkt, dass andere Botenstoffe ausgeschüttet werden als bei Freude und Entspannung. Wenn wir uns also ständig verbiegen, macht der Körper das, was für ihn in der Situation richtig ist.
Es wird NICHT funktionieren,
- wenn die Situation nicht für eine sexuelle Begegnung passt,
- wenn Sie Sorgen haben,
- ein Streit nicht geklärt ist,
- Sie erschöpft sind oder
- Ihr Körper nicht genug stimuliert ist.
Sie können körperliche Symptome eine Weile übergehen - auf die Dauer wird es Ihnen aber nicht gelingen. Ihr Körper wird krank und erzeugt Sexualstörungen. Wenn Sie diese Störungen loswerden wollen, müssen Sie sich damit auseinandersetzen, welches Verhalten für Sie nicht passend ist und Ihre Botenstoffe entgleisen lässt. Um wieder genussvollen Sex erleben zu können, müssen Sie Ihr Gehirn und Ihren Körper wieder in die Lage versetzen, beim Sex zu entspannen. Dabei hilft in den meisten Fällen psycho- oder sexualtherapeutische Unterstützung.
Einzel-, Paar- oder Sexualtherapie
Einzelpsychotherapie
Diese Methode eignet sich, wenn seelische Konflikte und Verhaltens- oder Denkmuster aus der Vergangenheit in der Gegenwart zu Sexualstörungen führen.
Paartherapie
Sexualstörungen sind immer auch Beziehungsstörungen, entweder weil sich das Sexualproblem belastend auf die Beziehung auswirkt oder weil in der Beziehung ungelöste Konflikte die sexuellen Kontakte stören. Es entsteht meist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis, aus dem das Paar selten allein herausfindet.
Vielen Paaren fällt es schwer, einander zuzuhören, andere Meinungen, Gefühle oder Bedürfnisse zu akzeptieren, den anderen ausreden zu lassen, ihn nicht ständig zu unterbrechen oder ihm zu widersprechen, ihn zu verurteilen und zu entwürdigen. Es wird ein ständiger Kampf, den anderen zu der eigenen Meinung zu bekehren.
Die Welt des anderen wird der eigenen Vorstellungswelt angepasst - auf Kosten von Vertrauen, Respekt und gegenseitigem Verständnis. Einer verbiegt sich für die Liebe des anderen. Dabei gehen das Lebendige und Faszinierende verloren und die Persönlichkeit, die einen ursprünglich attraktiv machte.
Paare lernen in der Therapie zu erkennen, dass sie oft aneinander vorbeireden, z.B. weil der eine auf der Gefühlsebene, der andere jedoch auf der sachlichen Ebene argumentiert. Beide sind so durch die Reaktion des anderen verwirrt und fühlen sich nicht ernst genommen oder missverstanden.
In der Paartherapie lernen die Partner, sich einander mitzuteilen, zu verstehen und anzunehmen. Dadurch entstehen Gefühle der Nähe und Intimität - die Basis für Sexualität.
Sexualtherapie
- Sexuelle Bedürfnisse mitzuteilen bereitet vielen Menschen enorme Schwierigkeiten. Vielen Frauen fällt es auch schwer, zu zeigen, was ihnen sexuell guttut bzw. was sie nicht wollen. In der Sexualtherapie steht dies im Mittelpunkt,
- neben der Paarkommunikation und
- den Fragen nach der persönlichen, sexuellen und psychischen Prägung.
- Sie hilft dem Paar, alte Normen und anerzogene Muster zu hinterfragen,
- Sexualmythen aufzudecken,
- sich sexuell mit seinen Bedürfnissen so mitzuteilen, dass sie für den Partner einladend und für sich selbst erregend sind.
- Sexualtherapie hilft auch, sexuelle Defizite auszugleichen,
- sich und den Partner auf der körperlichen und emotionalen Ebene neu und passend für die Gegenwart kennenzulernen.
Sozialberatung
Neben den sozialen Fähigkeiten wie miteinander zu sprechen, sich einander mitzuteilen, zu sich selbst zu stehen, gibt es andere soziale Faktoren, die sich störend auf eine befriedigende Sexualität auswirken.
- Finanzielle Sorgen,
- Probleme am Arbeitsplatz,
- Belastungen durch kranke oder schwierige Familienangehörige können massive Störfaktoren sein.
Der professionelle Blick von außen hilft, Lösungen zu finden, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es sie geben könnte. Auch hier gilt: Holen Sie sich Hilfe, bevor diese Probleme Sie, Ihre Familie, Partnerschaft und Sexualität belasten oder stören.
Weiterführender Artikel
Weibliche Sexualität: Sich kennenlernen
Quellenangabe
Dieser Text ist, mit freundlicher Genehmigung des Verlages, dem Buch Weiblich, sinnlich, lustvoll von Dr. Elia Bragagna, 2010 erschienen im Ueberreuter Verlag, entnommen.