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Sexualstörungen und Neurobiologie - Einleitung
Sexualstörungen - das hat eine Reihe von Studien nachgewiesen - haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Eine der prominentesten Studie, deren Zahlen zum Beleg für dieses Faktum herangezogen werden, ist jene des Soziologen Dr. Edward Laumann von der Universität Chicago. Laut dieser Studie, die allerdings bereits aus dem Jahr 1994 datiert, leidet etwa jede dritte Frau und jeder vierte Mann unter signifikanten und chronischen sexuellen Problemen, die in aller Regel mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden sind und zahlreiche negative Folgewirkungen für die betroffene Person selbst, ihre Beziehung zum Partner/zur Partnerin und der Familie führen.
Eine aktuellere Erhebung aus den USA, die allerdings nur das Sexualleben von Frauen untersuchte, kommt zu ähnlichen Ergebnissen:
Für diese Studie wurden 31.581 US-amerikanische Frauen im Alter von 18 Jahren aufwärts befragt. 43,1 Prozent der befragten Frauen berichteten von sexuellen Störungen, wobei 22,4 Prozent angaben, unter ihrem Sexualproblem zu leiden.1 Das ist eine wesentliche Ergänzung, denn nur weil ein Sexualproblem berichtet wird, bedeutet dies noch nicht, dass auch ein Leidensdruck vorliegt, erst, wenn ein Leidensdruck vorhanden ist, kann man im eigentlichen Sinne von einer „Sexualstörung“ sprechen.
Häufiges Problem
Das Problem eines „gestörten“ Sexuallebens ist also häufig. Grund genug für ForscherInnen auf der ganzen Welt, neue Zugänge zu suchen, um das Auftreten von Sexualstörungen besser zu verstehen und in der Folge auch erfolgreicher behandeln zu können.
Der Wissenschaftszweig, der sich seit einigen Jahren verstärkt mit diesem Thema befasst ist die Psychobiologie.
Exkurs: Psychobiologie...
… ist eine interdisziplinäre Naturwissenschaft, deren wichtigste Teildisziplinen die Verhaltensbiologie und die Psychologie darstellen. Psychobiologie zielt darauf ab, das Verhalten von Mensch und Tier exakt zu beschreiben, in seinen Zusammenhängen und Ursachen zu analysieren, in seiner Entwicklung zu erklären, und daraus - auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse - Verhaltenswirkungen voraussagen zu können.2
Grundlage von Salutogenese
Neben der zunehmenden Häufigkeit von sexuellen Problemen gibt es aber noch einen weiteren Grund, warum die Psychobiologie der menschlichen Sexualität und den ihr zugrundeliegenden neurobiologischen Steuerungsvorgängen mittlerweile ein wichtiger Stellenwert zukommt:
Sexuelle Gesundheit wird zunehmend als wichtige Quelle der Salutogenese erkannt. Umgekehrt werden sexuelle Störungen als (Mit-)Ursachen zahlreicher körperlicher und seelischer Erkrankungen identifiziert. So konnte inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass eine erektile Dysfunktion einen frühen Hinweis auf häufige Erkrankungen wie etwa Herz-Kreislaufkrankheiten, neurologische Krankheiten und Diabetes mellitus darstellt. Die Risikofaktoren, die zu diesen Erkrankungen führen, sind die gleichen, die auch eine erektile Dysfunktion auslösen können (zu fettes Essen, Rauchen, Bewegungsmangel, etc.)
Auch sind sexuelle Störungen eng mit psychischen Erkrankungen, wie etwa Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, vergesellschaftet. Hier ist ein „Henne-Ei-Problem“ zu konstatieren, denn es ist bis dato nicht restlos geklärt, inwiefern sexuelle Störungen andere psychische Störungen auslösen können, bzw. welche psychischen Störungen aus sich heraus sexuelle Störungen verursachen können. Auch Medikamente, die zur Behandlung von Depressionen und Angst- bzw. Zwangsstörungen, eingesetzt werden, können sexuelle Störungen auslösen.
Gesteigertes Interesse
Schließlich hat die Markteinführung von Sildenafil und anderen oral wirksamen Medikamenten zur Behandlung erektiler Dysfunktionen nicht nur zu einem großen öffentlichen Interesse geführt, sondern auch der Erforschung der neurobiologischen Grundlagen der Sexualität neue Impulse gegeben. Während die Kenntnisse zur peripheren Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie heute - zumindest beim Mann, weniger bei der Frau - zufriedenstellend sind, ist der Wissensstand zu den Vorgängen im Zentralnervensystem (ZNS) beim Menschen noch sehr gering.
Auf der anderen Seite liegt inzwischen eine kaum noch zu überblickende Fülle tierexperimenteller Studien und in jüngster Zeit auch eine wachsende Zahl methodisch anspruchsvoller Untersuchungen am Menschen (u.a. mit Neuroimaging-Methoden) vor, die den Versuch eines Zusammenfügens der Puzzlestücke möglich machen. Lohnend ist ein solches Unterfangen schon deshalb, weil man umso besser und gezielter sexuelle und reproduktive Störungen wissenschaftlich untersuchen, verändern und behandeln kann, je mehr über die Neurobiologie sexueller Funktionen und Dysfunktionen bekannt ist.
Studien zum Weiterlesen
1 Shifren JL et al. Sexual problems and distress in United States women: prevalence and correlates. Obstet Gynecol. 2008 Nov;112(5):970-8
2 zitiert nach: Immelmann, K. et al. Psychobiologie. Grundlagen des Verhaltens. G. Fischer, Stuttgart 1998. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Quelle: http://www.psychology48.com/deu/d/psychobiologie/psychobiologie.htm