Unerfüllter Kinderwunsch, IVF und seine Auswirkungen auf die Sexualität

5 minuten Lesezeit . Written by Dr. Jutta Fiegl

Unerfüllter Kinderwunsch, IVF und seine Auswirkungen auf die Sexualität

Schon jedes vierte bis siebente Paar bleibt heute ungewünscht kinderlos. Durch In-vitro-Fertilisation (IVF) wird die Chance auf ein eigenes Kind erhöht - für die Seele und damit auch für die Sexualität stellt dies aber eine harte Belastungsprobe dar.

Definition

  • Unter In-vitro-Fertilisation (IVF) versteht man die Verschmelzung einer Eizelle mit einer Samenzelle außerhalb des Körpers der Frau, z.B. im Reagenzglas oder in einer Petrischale (Glasschale mit Deckel).
  • Embryotransfer (ET) bezeichnet die Übertragung der sich entwickelnden befruchteten Eizelle in die Gebärmutter.

Die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer gehört zu den gängigen Methoden der Reproduktionsmedizin und wird bei Frauen angewendet, deren Eileiter nicht behebbare Verschlüsse oder schwere Schädigungen aufweisen oder wenn die Samenqualität des Mannes herabgesetzt ist.

Durchführung

Die Durchführung der In-vitro-Fertilisation erfolgt in drei Schritten:

  1. Vorbehandlung

Der IVF-Zyklus beginnt mit einer Hormonbehandlung der Frau, um das Reifen mehrerer Eibläschen (Follikel) zu veranlassen.
Nach einer eisprungauslösenden Spritze erfolgt die Follikelpunktion. Dazu wird eine stabförmige Ultraschallsonde mit einer Nadelführung in die Scheide eingeführt. Unter Ultraschallsicht wird die Nadel durch die Scheidenwand nacheinander in jedes Eibläschen eingeführt und die Follikelflüssigkeit samt Eizelle mittels einer kleinen an der Nadel angeschlossenen Pumpe in ein Röhrchen abgesaugt.

  1. Befruchtung

Unter dem Mikroskop wird in der Flüssigkeit nach der Eizelle gesucht, die in den Inkubator (Brutschrank) gebracht wird.
Gleichzeitig gewinnt der Mann durch Masturbation in einem dafür vorgesehenen Raum den Samen. Dieser wird durch mehrere “Waschvorgänge” und in einem Kulturmedium befruchtungsfähig gemacht und nach 1 bis 5 Stunden der Eizelle zugefügt.
Am nächsten Tag werden die Eizellen unter dem Mikroskop dahingehend begutachtet, ob eine Befruchtung stattgefunden hat. Dies erkennt man daran, dass zwei Kerne in der Eizelle sichtbar sind.
Ist die Samenqualität des Mannes eingeschränkt, wird zusätzlich ICSI angewandt, das heißt, einzelne Spermien werden mittels einer Nadel unter dem Mikroskop in die Eizelle “geimpft”.

  1. Embryotransfer

Einige Tage später erfolgt der Embryotransfer, das Wiedereinsetzen der nun befruchteten Eizellen, jetzt Embryo genannt.

Häufigkeit

Etwa jedes vierte bis siebente Paar wartet vergeblich auf ein Kind. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit 60 bis 80 Millionen Paare unfruchtbar.
Die häufigsten Ursachen sind verschlossenen Eileiter und eingeschränkte Samenqualität.

Auswirkungen auf Sexualleben

Die Diagnose „eingeschränkt fertil" (eingeschränkt fruchtbar) oder „infertil" (unfruchtbar) löst meist tiefe Betroffenheit und ein Gefühl der Hilflosigkeit aus. Sie bedeutet, möglicherweise auf etwas Elementares, nämlich sich fortzupflanzen, verzichten zu müssen, an eine aufgezwungene persönliche Grenze zu stoßen.

Häufig können in der Phase der Kinderwunschbehandlung auch sexuelle Störungen auftreten:

  • Lustlosigkeit,
  • Empfindungsstörungen (Sex macht wenig Freude, der Orgasmus stellt sich kaum ein) oder
  • Erektionsstörungen bzw. Ejakulationsstörungen (der Penis wird nicht oder ungenügend steif oder der Samenerguss bleibt aus).

Die Ursachen sind im Zusammenhang mit dem Kinderwunsch bzw. dessen Behandlung zu finden. Auch die medizinische Behandlungsprozedur bedeutet meist psychischen Stress, der sich auf die Partnerschaft und das Sexualleben auswirken kann.

Stress durch Behandlung

Für die Frau

Es bedeutet Druck, ob genügend Eibläschen wachsen, ob Eizellen enthalten sein werden, ob diese sich befruchten lassen und schließlich, ob sie nach dem Einsetzen in die Gebärmutter “anwachsen” und eine Schwangerschaft eintritt. Körpervorgänge, die sonst nicht sichtbar sind, werden durch die Technik sichtbar gemacht und erhöhen die Spannung.

Die begleitende Hormonbehandlung kann Beschwerden im Bauchraum hervorrufen, da die Eierstöcke mehr als nur ein Eibläschen produzieren.
Es ist alles so sehr auf die Funktionstüchtigkeit des Körpers konzentriert, dass für Lustgefühle und Sexualität wenig Raum bleibt.

Empfehlung:
Sich bewusst Zeit für Zweisamkeit nehmen, Sex ist nicht nur Geschlechtsverkehr, sondern auch Austausch von Zärtlichkeiten.

Für den Mann

Es bedeutet Druck, ob die Samenqualität gut genug sein wird, oft gibt es dazu noch die ärztliche Empfehlung zur Optimierung die Samen zu “sparen” , d.h. keinen Verkehr zu haben. Druck macht auch die Frage, ob die “Samenabgabe” beim Arzt klappen wird. Außerdem macht es hilflos, auf das Funktionieren des Körpers der Frau angewiesen zu sein. Die Folge können Erektionsstörungen oder ausbleibender Samenerguss sein.

Empfehlung:
Ruhe bewahren, Zeit mit der Partnerin nehmen, Erektion nicht zu erzwingen versuchen, den Samen zu Hause gewinnen und ins Institut mitbringen.

Stress durch den Kinderwunsch

Das Planen der Sexualität

Fast immer verliert die Sexualität an Spontanität. Die erste Selbsthilfe, zu der fast alle Paare greifen, ist der Versuch, die Fortpflanzungschancen dadurch zu vergrößern, dass sie zum Eisprungtermin Verkehr haben. Vielfach beschränkt sich der Geschlechtsverkehr ausschließlich nur noch auf die fruchtbaren Tage. Geschäftstermine, Urlaube und persönliche Bedürfnisse werden danach geplant.

Erotische Gefühle und Freude an der Sexualität werden hingegen völlig vom Geschlechtsverkehr entkoppelt. Das ist ein Zustand, der Sexualität kaputtmacht und Paarbeziehungen extrem belastet.

Empfehlung:
Das Paar sollte sich ehrlich fragen, ob Sex stattfinden soll, weil Lust da ist, oder nur weil der “Termin passt”. Nur wenn die Lust stimmt sollten Sie auch wirklich Sex haben - es ich nicht nötig, einen “Termin” einzuhalten - die Samen leben im Körper der Frau nahezu sechs Tage und sind befruchtungsfähig.

Die „ganze Frau“ und der „ganze Mann“

Oft verknüpfen Frauen und auch Männer ihre sexuelle Attraktivität mit der Fähigkeit, schwanger zu werden bzw. schwanger zu machen. Passiert das nicht, fühlen sie sich unattraktiv, unvollständig, und verlieren die Lust an ihrem Körper.

  • Frauen empfinden sich häufig als „unvollständig", nicht mehr als “ganze Frau”, als “taubes Ei”. Die Formulierungen zeigen, wie sehr für viele die Tatsache, nicht schwanger werden zu können, ihr Selbstbewusstsein, ihre sexuelle Attraktivität und ihre Fähigkeit, Lust zu empfinden einschränkt.
  • Bei Männern, die infertil sind, wirkt sich die Diagnose sehr ähnlich aus. Sie fühlen sich unattraktiv, geschwächt, impotent und reagieren oft mit sexuellem Rückzug und depressiven Gefühlen.

Empfehlung:
Miteinander darüber reden, überlegen, was ist, wenn das Kinderkriegen nie klappt: Das nimmt Druck.

Ungleicher Kinderwunsch

Ist der Kinderwunsch nicht gleich stark ausgeprägt, fühlt sich die Frau oft als Person nicht mehr wahrgenommen, sondern nur mehr zum Eisprung interessant, der Mann nimmt sich nur mehr als “Samenproduzent” wahr. Diese Gefühle können Einfluss auf die Sexualität haben, indem sie Lustlosigkeit oder Erektionsstörungen verursachen.

Nur mit Kind hat die Partnerschaft Sinn

Letztlich bedeutet das, dass die Partner einander nicht genug wert sind, aber im Wert steigen, wenn beide zu einem Kind beitragen. Es schürt die Unsicherheit, ob er sie bzw. sie ihn auch ohne Kind liebt.
Wie muss sich ein Partner wohl fühlen, wenn der andere sagt, alles hat keinen Sinn ohne Kind? Ein Kind sei das Wichtigste? Es reduziert auf Gebärmaschine und Befruchtungsapparat, das wiederum mündet oft in sexuellen Rückzug und Lustlosigkeit.

Lösungsansätze

  • Sexualstörungen sind im Zusammenhang mit unerfülltem Kinderwunsch immer auf psychischen Druck zurückzuführen. Es ist wichtig, miteinander über die Ängste und Sorgen zu reden, sollte der Kinderwunsch nicht erfüllt werden.
  • Um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen ist es wichtig, die Lebensweise nicht vom Kinderwunsch abhängig zu machen, sondern das zu tun, was dem eigenen körperlichen und seelischen Wohlbefinden und der eigenen Lebensqualität förderlich ist. Die Behandlung sollte nicht den gesamten Alltag bestimmen. Wichtig sind gemeinsame Zeit, angenehme Erlebnisse zu zweit und gegenseitige Zuwendung.
  • Wenn man merkt, man ist mit der Situation überfordert, sollte man sich nicht scheuen, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Buchtipp

Jutta Fiegl
Unerfüllter Kinderwunsch
Das Wechselspiel von Körper und Seele,
mvg Verlag 2004

Über die Autorin

Dr. Jutta Fiegl ist Vizerektorin der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, Psychotherapeutin (Systemische Familientherapie), Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Lehrtherapeutin.

Weiterführender Artikel

Kinderwunschbehandlung

Linktipp

www.endlichvater.eu