Kopf der Woche: Grit Scholz
Wir präsentieren Persönlichkeiten, deren Einsatz und Innovationsgeist das Gebiet der Sexualmedizin maßgeblich beeinflussen.
Diese Woche: Grit Scholz. Die Autorin setzt sich seit vielen Jahren für eine gesunde und befriedigende Sicht auf den weiblichen Körper ein. Für ihr Buch “Das Tor in die Welt” hat sie mehr als 60 Frauen dazu bewegen können, ihre Vulva - Grit Scholz spricht liebevoll von Yoni - ablichten zu lassen. Das Ergebnis ist ein wunderbares Buch, das die Vulva in ihrer ganzen Schönheit und Unterschiedlichkeit zeigt und damit auch dem Thema “Intimchirurgie” eine deutliche Absage erteilt.
Wer ist Grit Scholz?
1965 in Leipzig geboren. Mutter von zwei Töchtern. Grafik-Designerin, Fotografin, Autorin und Verlegerin. Beschäftigt sich mit neuen Sichtweisen und Lebensweisen, hat vier Jahre eine Lebensgemeinschaft auf einem Gutshof (mit Demeter Bauernhof und freier Schule) mit aufgebaut, in der heute ca. 30 Menschen leben.
Warum beschäftigen Sie sich mit weiblicher Sexualität und Genitalverstümmelung im Namen der Schönheit?
Die Unwissenheit der Frauen aber auch die Manipulation durch die Medien führen dazu, dass Frauen mit Ihrer Vulva unwohl oder hässlich fühlen. Es ist allerdings weniger die Manipulation als vielmehr der Faktor Beeinflussung durch diese Manipulationen - es ist fast so, als hätten wir verlernt selbstständig zu denken. Mein Buchprojekt leistet an dieser Stelle hervorragende Aufklärungsarbeit. Die Möglichkeit 65 verschiedene Vulvae zu sehen, von Frauen zwischen 18 und 75 Jahren, ist für die meisten Frauen durch mein Buch erstmalig möglich geworden. Und selbst MedizinerInnen und Hebammen finden diese Bilder erstaunlich und ihnen wird bewusst, dass sie keine innere Erlaubnis haben, da wirklich hinzuschauen.
Welches sind Ihre Lieblingsthemen?
Alles in Frage zu stellen, was eine breite Masse als gegeben hinnimmt.
Immer besser erkennen und unterscheiden zu können, wann ich selbst fremdgesteuert
funktioniere und was meine eigene Wahrheit ist, wenn ich mir erlaube hinter die Kulissen zu schauen.
Was ist für Sie in Ihrer täglichen Arbeit besonders wichtig?
Andere Frauen einzuladen, sich selbst zu entdecken und zu ermächtigen. Die Vielfalt und Einzigartigkeit auf allen Ebenen zu feiern und alles einschließen, statt alles was anders ist auszuschließen.
Wo sehen Sie nach wie vor große Probleme?
In der Bereitschaft oder Unbewusstheit vieler Menschen, sich manipulieren zu lassen,
nicht selber zu denken und zu fühlen.
Was macht Grit Scholz wenn sie nicht arbeitet?
Mein Gefühl ist, dass ich nicht mehr arbeite in dem Sinne, wie viele andere Menschen arbeiten. Ich tue alles gern was ich tue, lesen, schreiben, malen, mich mit Menschen unterhalten, wandern, meine Buchhaltung machen, reisen, mit meinen Kindern sein, die Natur genießen, fotografieren, meine Wohnung putzen, kochen, im Internet surfen, schlafen - und ich könnte behaupten, dass alles das auf eine bestimmte Weise mit dem zu tun hat, wie ich auch mein Geld verdiene - was in unserer Gesellschaft arbeiten genannt wird. Zwischendurch träume ich gern vom eigenen Haus in Alleinlage mit riesigem Garten.
Wohin wird sich die Sexualität in den nächsten zehn Jahren verändern?
Nach meinem Gefühl wird es zu einer Spaltung in zwei Gruppen kommen. In der Gruppe eins wird sich die Sexualität immer mehr zu einer bewusst genutzten Kraftquelle entwickeln, einem Quell der Freude und Kreativität - Sexualität wird eine größere Bandbreite bekommen, jenseits von Zeugung und Lust und durchaus auch jenseits der romantischen Liebe, werden sich neue Tore zu größerer Bewusstheit und Selbstverantwortung öffnen. Mann und Frau erkennen, dass sie in erster Linie Menschen sind, das äußere Geschlecht spielt keine so große Rolle mehr. Denn es wird immer klarer, dass auch in jeder Frau männliche Aspekte und Energien angelegt sind und in jedem Mann weibliche. Das Gleichgewicht zu finden, das wird die neue Herausforderung sein.
Für die zweite Gruppe sehe ich dagegen eher schwarz: Sexualität wird hier immer mehr zum Spiegel einer gesellschaftlichen Erkrankung. Sadomasochismus wird ebenso zunehmen, wie „sich beim Sex zeigen wollen“ und anderen „beim Sex zusehen wollen“. Sex wird härter, unverbundener und oberflächlicher und ist ganz stark mit Selbstdarstellung verbunden.
Die Gegenbewegung dazu wäre Sex wieder absolut „heilig zu sprechen“ - mit der Vorgabe, Sex erst wieder in der Ehe zu vollziehen und Sex außerhalb insitutionalisierter Beziehungen wieder zu verteufeln.
Wohin wird sich die Sexualmedizin in den nächsten zehn Jahren verändern?
Es gibt unheimlich viel Engagement und Aufklärungsarbeit auf der einen Seite, die wirklich gut und ganzheitlich und praxisorientiert ist. Da werden geschlechtsspezifische Seminare für Frauen und Männer angeboten, in denen es um Heilungsarbeit geht, es gibt spannende Kongresse zu sexuellen Themen, Initiationsrituale für Jugendliche nehmen zu, Sexualtherapeutinnen und Therapeuten beschäftigen sich mit Tantra und mit Spiritualität.
Auf der anderen Seite sehe ich unser staatliches Schulsystem, auch die meisten Universitäten und die Massenmedien, die scheinbar kein Interesse daran haben, die Menschen in ihrer Selbstfindung und sexuellen Reifung und Entfaltung zu unterstützen, sondern alles tun um die Massen zu verblöden. Die gängigen Frauenzeitschriften zeigen diese sexistische Oberflächlichkeit und die Orientierung an Normen und Äußerlichkeiten so sehr, dass es (fast) schon weh tut. Und somit könnten wir in zehn Jahren an einem Punkt sein, an dem SchönheitschirurgInnen, sich SexualmedizinerInnen nennen.
Lieblingsfarbe?
Oh - kommt ganz auf die Tagesverfassung an.
Lieblingsbuch?
Auch hier gibt es zu viele um sie alle aufzuzählen, ich lese manchmal drei Bücher in einer Woche, und in dem Moment, wo ich es lese, ist es mein Lieblingsbuch, sonst würde ich ein anderes lesen.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Unterwegs, dahin wo mein Herz mich führt.