Ungehörtes Leid
Die Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna berichtet in der „Sprechstunde“ von Fällen aus ihrer täglichen Praxis. Alle persönlichen Angaben der Patienten und Patientinnen wurden geändert, die Geschichten, Probleme und Lösungsfindungen entsprechen jedoch der Realität.
Frau Helga W. (56) erkennt sich sexuell nach der Entfernung ihrer Gebärmutter nicht mehr wieder. Ihr Körper spricht nicht wie früher auf sexuelle Reize an. Sie und ihr Mann sind darüber sehr verzweifelt.
Vorgeschichte
Die Patientin sucht telefonisch sehr aufgewühlt um einen Termin in meiner Praxis an, obwohl sie einige Stunden Anfahrt in Kauf nehmen muss. Endlich angekommen erzählt sie unter Tränen die Geschichte einer Odyssee mit vielen Stationen, an deren Ende nun Kränkung und Verzweiflung stehen.
Frau W. war vor sechs Jahren die Gebärmutter entfernt worden, da Myome, also gutartige Muskeltumore, lange zu sehr starken Regelblutungen geführt hatten. Sie hatte keine Bedenken gegen die Operation, da nach Aussagen der behandelnden Mediziner keine negativen Konsequenzen zu erwarten sein sollten. Da die Patientin schon immer ein gutes Gefühl für ihren Körper hatte, war sie sich sicher, nach der Operation auch schnell wieder hergestellt zu sein. Vor der Operation lebte sie eine sehr befriedigende und unbeschwerte Sexualität mit ihrem Mann. Sie konnte genau spüren, wie sich ihre Genitale durch die Erregung mit Blut füllten, wurde leicht feucht und kam leicht zum Orgasmus. Vor allem genoss sie es, wenn ihr Mann mit dem Penis am Muttermund ankam.
Problem
Nach der Operation nun musste sie verwundert feststellen, dass all diese Reaktionen plötzlich ausblieben, auch wenn sich ihr Mann sehr um sie bemühte. Es gelang ihr nicht mehr, Erregung aufzubauen, sie wurde nicht mehr feucht und sie hatte Orgasmusprobleme. Ihr Mann bemerkte, dass die Scheide innen nicht mehr so „anschwoll“.
Gescheiterte Abklärungsversuche
Verunsichert fragte sie bei der ersten Untersuchung nach, was das zu bedeuten hätte. Sie wurde beruhigt und man versicherte ihr, dass sich ihre Beschwerden legen würden. Ab da traute sie sich bei den Folgeuntersuchungen nicht mehr, die Ärzte auf ihre Probleme anzusprechen.
Als sich die Situation jedoch nach zweieinhalb Jahren noch immer nicht gebessert hatte, fasste sie erneut Mut. Nun wurde ihr erklärt, dass die Gebärmutterentfernung bewiesenermaßen keine negativen Folgen für die Sexualität haben könne. Ihre Probleme seien wohl nur eine Kopfsache.
Darauf hin begann die Betroffene, unterstützt von ihrem Mann, sich selbst zu informieren. Alle möglichen Untersuchungen ließ sie über sich ergehen und zahlreiche Therapien machte sie auf eigene Kosten. Doch ein Zusammenhang mit der Operation wurde immer kategorisch verneint. Selbst als die neurologischen Befunde eine veränderte Nervenversorgung zur Klitoris zeigten, wurde ihr gesagt, dass das keine Bedeutung hätte. Nun war sie wirklich am Ende, zweifelt an sich und der Welt und war weit entfernt von einer befriedigen Sexualität.
Lösungsansätze
Leider konnte ich Frau W. mit ihren Sexualproblemen nicht wirklich helfen. Aber ich konnte ihre Selbstzweifel nehmen und sie fachlich beraten. Unglücklicherweise ist sie eine von sehr wenigen Patientinnen, deren Sexualität sich durch den operativen Eingriff verändert. Obwohl sexuelle Störungen nach der Entfernung der Gebärmutter selten vorkommen, gibt es doch hinreichend wissenschaftliche Literatur, die belegt, dass die veränderte anatomische Situation für einige Frauen negative Auswirkungen auf die Sexualität hat.
Das Tragische für Frau W. ist, dass sie diese Information jahrelang nicht bekommen hat und nicht ernst genommen wurde. So hatte sie starke Zweifel an ihrer Körperwahrnehmung und schließlich an sich selbst aufgebaut.
Gestärkt durch diese Informationen nutzte Frau W. ihre traurige Erfahrung, um sich einer angesehenen Selbsthilfegruppe anzuschließen. Nun hilft sie Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, schnell und umfassend informiert zu werden und, wenn möglich, mit professioneller Unterstützung zu einer befriedigenden Sexualität zurückzufinden.
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