Mit dem Farbstift ins Unbewusste: Zeichnen und Malen als Zugang zu unbewussten sexuellen Problemen
Nicht nur der Traum ist ein „Königsweg zum Unbewussten“, wie Sigmund Freud schrieb, auch meditative Übungen, in der westlichen Welt am bekanntesten ist wohl das Autogene Training, sind ein solcher „Königsweg“.
Körper als Spiegel der Seele
Wir wissen wohl aus fast allen psychotherapeutischen Systemen, dass es häufig nicht bewusste sexuelle Probleme sind, die die sogenannten psychosomatischen Beschwerden verursachen, also mögliche Auslöser von Magenbeschwerden bis zum Magengeschwür, von Herzbeschwerden bis zum Herzinfarkt sein können. Natürlich muss auch eine (häufig vererbliche) Anlage da sein, natürlich spielt beim Magengeschwür auch das heute schon fast jedem bekannte Bakterium Helicobacter pylori eine Rolle. Aber ohne psychische Belastung bleiben manchmal auch Magenbeschwerden, oder was immer das psychosomatische Leiden sein mag, weg. Obwohl das heute kaum mehr von irgendeiner Seite bestritten wird, ist es doch im Alltag den „PatientInnen“, also uns allen, wohl aber oft auch den ÄrztInnen nicht so bewusst, wie dies der Fall sein sollte.
Gar nicht selten findet man auch Menschen, die sich ihrer Problematik überhaupt nicht bewusst sind, sie nicht beachten, sie für alltäglich und daher gar vernachlässigbar halten. Es kommt darauf an, welche Verdrängungsmechanismen dem Einzelnen/der Einzelnen zur Verfügung stehen.
Verdrängte Probleme aufdecken
Es gibt heute viele Möglichkeiten solche nicht bewussten Probleme aufzudecken. Dazu gehört die Psychotherapie, es existieren verschiedene Testbatterien, Psychoanalyse der verschiedenen Richtungen, Hypnose, Hypnoanalyse und vieles andere mehr. Eine Methode, die sich seit etwa 1970 gut bewährt hat, möchte ich Ihnen heute vorstellen: das von mir mit Hilfe der KollegInnen des psychotherapeutischen Seminars der Wiener psychiatrischen Klinik entwickelte „Aufdecken durch Gestalten vor und nach dem Autogenen Training“, eine Vorstufe zur „Analytischen Oberstufe des Autogenen Trainings“. , ,
Die Seele gestalten lassen
Man kann anstelle des Autogenen Trainings sicher auch andere „meditative“ Verfahren verwenden. Das Prinzip ist einfach und kann wahrscheinlich für die meisten Methoden gleich bleiben, wie u.a. Prof. H. Niesel aus Bochum gezeigt hat: Die Versuchsperson bekommt Materialien mit denen sie nach Herzenslust einfach drauflos gestalten kann, ohne irgendwelche künstlerischen Ambitionen haben zu müssen. „Schau, was Deine Hände machen!“ nannte das die bekannte Wiener Psychologin Dr. Marianne Martin. Da stehen Farbstifte in den acht Farben des „Lüscher-Farb-Testes“ zur Verfügung, Plastilin Blöcke in den gleichen Farben und natürlich auch Wasserfarben.
Die Lüscherfarben sind: 1 Blau (Schlagwort: Ruhe), 2 Grün (Ich, Selbstbehauptung), 3 Rot (Vitalität), 4 Gelb (Lösung, Erlösung), 5 Violett (Faszination), 6 Braun (Stallwärme), 0 Grau (Abschirmung), 7 Schwarz (Verneinung, Grenze).
Die Geschichte dahinter sehen
In unserem Beispiel wählte ein Patient mit psychosomatischen Herzbeschwerden die Farbstifte und zeichnete zuerst einmal dieses Symbol mit dem schwarzen Stift:
Erschrockenes Erkennen
Wie er später berichtete, erschrak er, weil er das Symbol für das weibliche Genital aus seiner Jugend (zierte damals viele Wände, oft stand „FUT“ daneben) gezeichnet hatte. Hastig machte er ein Boot daraus, steckte einen Mast (Lüscher: Ich Selbstbehauptung!) hinein, zeichnete ein gelbes (Lüscher: Lösung) Segel dazu und es entstand allmählich die untenstehende „Zeichnung vor dem Training“ :
Schiffe, Fische und ein Rechteck
Analytische gesehen könnte man den „Mast“, den er in das Vulvasymbol steckte, sicher als Gliedsymbol sehen. Dazu passt sehr gut, dass Gelb nach Lüscher wie schon erwähnt, „Lösung“, Erlösung bedeutet. (Der Heiligenschein auf der ganzen Welt ist gelb!)
Es kamen noch zwei Schiffe dazu, die Grenze zwischen dem „Schiffsbereich“ und dem anderen „Versuchsfeld“, der Fisch unten, die Vögel oben, die drei Pfeile rechts unten und rechts oben das abgetrennte Rechteck mit dem „Gekritzel“ drinnen.
Begabter Zeichner
Eine halbe Stunde nach dem Training entstand völlig spontan, nur mit dem braunen Stift dieses Bild. Dazu wäre noch zu bemerken, dass der Bildautor sich bis dahin für völlig unbegabt im Zeichnen hielt (auch in der Schule wurde er so beurteilt). Niemand hätte ihm eine solche Skizze zugetraut.
"Einmal möchte ich meine Frau so sehen"
Nachdem das Bild fertig war, war ihm auch die Bedeutung völlig klar. Er lebte in einer von beiden Partnern als sehr gut empfundenen Ehe. Der Mann (auch katholisch) war sich im Klaren darüber, dass seine sehr streng gläubige Frau ihm ohnehin schon sehr entgegenkam, wenn sie ohne Zeugungsabsicht Geschlechtsverkehr mit ihm hatte. Da nahm er es in Kauf, dass er sie nie nackt zu sehen bekam, dass alles nur bei heruntergelassenen Vorhängen und natürlich nur in der Nacht und unter der Decke stattfand. „Einmal möchte ich meine Frau so sehen!“, das war der unterdrückte, ja allmählich sogar ins Unbewusste verschobene Wunsch, und es war offensichtlich, wem das Gesicht hinter dem maskenartigen Vorhang gehörte.
Gefühle nicht verletzen
Die Therapie in solchen Fällen muss unseres Erachtens sehr behutsam gestaltet werden, damit die religiösen Gefühle, hier insbesondere der Frau, nicht verletzt werden. Es gelang mit sehr vorsichtigem Vorgehen und mit Hilfe ihres Beichtvaters, ihre sehr konservativen Ansichten allmählich zu mildern, und diese zweifellos gute Ehe wurde allmählich auch zu einer sexuell für beide Partner erfüllten Gemeinschaft. Die Arbeit beider Eheleute mit der analytischen Oberstufe des Autogenen Trainings/der Autogenen Psychotherapie (einer Art begleiteten Selbstanalyse) war dabei sehr hilfreich. Dazu sei am Rande bemerkt, dass statistisch etwa 80 Prozent der Trainierenden im Laufe des ersten Jahres der Übungen auch sexuelle Empfindungen im Rahmen des Trainings haben .
Vor dem Training
Zum Abschluss seien die beiden Bilder nochmals nebeneinander gestellt:
Nach dem Training
Zum Abschluss seinen die beiden Bilder nochmals nebeneinander gestellt:
Wunscherfüllung
Besonders deutlich wird das (aktive, rote) Eck rechts oben. Das nicht erkennbare Gebilde ist noch dazu durchgestrichen und selbst beim zweiten Bild, das ja schon sehr weitgehend eine Wunscherfüllung ist, wird das Gesicht noch von einem Vorhang, einer Art Maske verborgen. Am linken Bild fallen noch die roten Pfeile, die roten Vögel in den grauen Wolken und der rote Fisch auf. Man wird nicht weit fehlgehen, wenn man das als Sexualsymbole deutet.
Literaturverzeichnis
Wallnöfer, H.: Aufdecken durch Gestalten vor und nach dem Autogenen Training. Wiener Psychiatrische Klinik. Ausstellung, Eröffnung Prof. Hanscarl Leuner . (1971) und (1972) 22. Lindauer Psychotherapiewochen.
Wallnöfer, H.: Beiträge über das Autogene Training/Autogene Psychotherapie in Stumm, G. und A. Pritz: Wörterbuch der Psychotherapie. Wien, 2000
Wallnöfer, H.: Advanced Analytic AT and Uncovering through creative Work before and after Training. In: Alfred Pritz: Globalized Psychotherapy, Vienna, 2002
Verweise auf die Beiträge: „Lüscher, die Liebe und die Farben“ und auf „Masturbation und Entspannung“
Wallnöfer, H.: Seele ohne Angst. Stuttgart 1992, digitalisiert über die Österreichische Nationalbibliothek erhältlich.
Wallnöfer, H.: Auf der Suche nach dem Ich. Stuttgart 1992, digitalisiert über die Österreichische Nationalbibliothek erhältlich.
Wallnöfer, H.: Offenbarung im Autogenen Training. Sexualmedizin, Nr.4, S 362-367, 1975